Verspielte Urwölfe waren der Ursprung unserer Haushunde

Vor zehntausenden Jahren spielten Menschen erstmals mit besonders zugänglichen Wolfsvorfahren. Vermutlich war Spielbereitschaft von Anfang an ein Merkmal für die gezielte Zucht.

Von Virginia Morell
Veröffentlicht am 24. Sept. 2020, 16:32 MESZ
Vizsla

Ein Vizsla steht im schottischen Queen Elizabeth Forest Park. Ursprünglich begleitete die Rasse die Jäger und half beim Finden und Apportieren von Beute.

Foto von Tony Clerkson, Alamy

Die meisten Hunde lieben es zu spielen: Sie jagen Bällen nach, spielen mit Zerrstricken oder zerreißen quietschende Spielzeuge. Auch für Menschen ist das Spiel mit einem Hund in der Regel ein Stimmungsheber. Tatsächlich zeigt die Wissenschaft, dass Hundebesitzer öfter lachen als Katzenbesitzer.

Es ist also keine Überraschung, dass die Bereitschaft der Hunde, mit uns zu spielen, ein Schlüsselfaktor bei ihrer Domestizierung gewesen sein könnte. Möglicherweise beeinflusste sie auch unsere späteren Bemühungen, Hunde für bestimmte Funktionen zu züchten. Das geht aus einer neuen Studie hervor, die im Fachmagazin „Biology Letters“ publiziert wurde.

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Zwar sind sich Forscher weiterhin uneins darüber, wann, wo und wie Hunde erstmals domestiziert wurden. Aber die meisten stimmen darin überein, dass der erste Kontakt zu Menschen wahrscheinlich von einem Vorfahren des heutigen Wolfs ausging.

Diese derzeit noch nicht identifizierte Wolfsspezies begann wahrscheinlich vor 20.000 bis 40.000 Jahren, sich in menschlichen Siedlungen in Deutschland oder Sibirien herumzutreiben. Dort erhaschten die Tiere leichte Beute in Form von Nahrungsabfällen. Wahrscheinlich verloren die weniger ängstlichen Individuen mit der Zeit typisch wölfischen Verhaltensweisen wie ihre Scheu vor Menschen. Aus ihnen entwickelten sich die glücklichen, freundlichen und treuen Haushunde, die uns heute begleiten.

In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler, ob diese besonders neugierigen und verspielten Wölfe diese Merkmale an die neue Art des Haushundes vererbten – und ob Menschen gezielt Hunde mit diesen Merkmalen züchteten. Frühere Forschungen haben beispielsweise gezeigt, dass einige Wolfswelpen von Natur aus wissen, wie man mit Menschen Ball spielt.

„Die Bereitschaft eines Hundes, mit uns zu spielen, war wahrscheinlich während der gesamten Domestikation wichtig für uns“, sagt der Studienleiter Niclas Kolm, ein Evolutionsbiologe an der Universität Stockholm in Schweden.

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BELIEBT

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    Das Team analysierte auch die evolutionären Beziehungen zwischen heutigen Hunderassen. Dabei fanden die Forscher heraus, dass ihr gemeinsamer Vorfahre – ein Tier, das einem heutigen Basenji ähnelt – wohl mit Menschen gespielt hat, wenn auch nicht so enthusiastisch wie manch andere heutige Rasse.

    Sie stellten auch fest, dass Hütehunde wie ungarische Vizslas und Australian Shepherds „mit Abstand die verspieltesten“ waren und sich schnell und aktiv an Spielen beteiligten, sagt Kolm.

    „Das hat auch einen praktischen Sinn: Wenn ein Hund mit einem spielen möchte, ist es viel einfacher, ihn auch zu trainieren“, sagt er. Er verweist darauf, dass Hütehunde starke Bindungen zu ihren Besitzern haben müssen, um effektiv zu arbeiten, und dass häufiges Spielen solche Bindungen stärken kann.

    Verspielte Persönlichkeiten

    Fast alle jungen Säugetiere spielen, für gewöhnlich mit Artgenossen. Das Verhalten ist Teil ihrer körperlichen, sozialen und kognitiven Entwicklung und dient zum Einüben bestimmter Fertigkeiten wie der Jagd, die im Erwachsenenalter lebenswichtig sind.

    Basenjis (hier abgebildet ist ein Exemplar in Pennsylvania von 1959) bellen nicht, sondern geben stattdessen ein glucksendes Geräusch von sich.

    Foto von Nina Leen, The LIFE Picture Collection, Getty Images

    Wenn sie ausgewachsen sind, spielen Tiere seltener. Stattdessen müssen sie sich darauf konzentrieren, Territorien, Nahrung und Partner zu finden. Sie spielen auch nicht oft mit Tieren anderer Arten.

    Hunde scheinen hingegen die fröhliche Seite vieler Tierarten zum Vorschein zu bringen, von Menschen über Schildkröten bis hin zu Hühnern. Dergleichen Interaktionen sind auf YouTube zur Genüge dokumentiert. Hunde und Pferde, die seit Jahrhunderten auf Bauernhöfen miteinander leben, spielen ebenfalls zusammen und scheinen eine ähnliche Spielsprache zu besitzen.

    Um den Ursprüngen der verspielten Hunde auf den Grund zu gehen, untersuchten Kolm und seine Kollegen, wie sich das vom Menschen initiierte Spielverhalten bei 132 heutigen Rassen entwickelte, die vom American Kennel Club anerkannt werden. Diese Rassen werden nach ihren verschiedenen Funktionen gruppiert: Hütehunde, Jagdhunde, Wachhunde, Begleithunde, Arbeitshunde (zum Beispiel Schlittenhunde) und Sporthunde. Die Forscher gaben die genetischen Daten der Rassen in ein Computermodell ein, das vorhersagte, welche Rasse spielerische Merkmale hatte.

    Im Anschluss integrierte das Team Daten, die vom Swedish Kennel Club (SKC) gesammelt wurden, der zwischen 1997 und 2013 die Persönlichkeiten und das Spielverhalten von mehr als 89.000 Hunden dieser 132 Rassen analysiert hat. Die Forscher des SKC beurteilten die Bereitschaft eines Hundes, mit einer unbekannten Person ein Zerrspiel zu spielen: Hunde, die bereitwillig und aktiv an diesem Spiel teilnahmen, wurden als sehr verspielt eingestuft.

    Die Ergebnisse zeigten, dass Hüte- und Sportrassen am häufigsten spielten, während kleine Begleithunderassen wie Mops und Papillon das wenigste Interesse daran zeigten. „Sie wurden dafür gezüchtet, klein zu sein und herumgetragen zu werden“, sagt Kolm. „Es ist für sie nicht wichtig, mit ihren Haltern zu spielen.“

    Überrascht war Kolm allerdings davon, dass Terrier wie der Staffordshire-Terrier – ursprünglich als Kampfhund gezüchtet – sehr verspielt sind. Womöglich, so spekuliert er, liege das daran, dass sie gezüchtet wurden, um auf menschliche Anweisungen zu reagieren – einschließlich der Aufforderung zum Spielen.

    Alte Hunde, alte Tricks

    Am faszinierendsten war jedoch, dass der Basenji, ein afrikanischer Jagdhund, ebenfalls verspielt ist, wenn auch nicht in so großem Maße wie andere Rassen. Der Basenji ist wahrscheinlich die älteste domestizierte Rasse und stammt mindestens aus dem 18. Jahrhundert. Forscher glauben jedoch, dass es ähnliche Hunde seit mindestens 6.000 v. Chr. gibt, da libysche Höhlenmalereien solche Hunde bei der Jagd zeigen.

    Es lässt sich unmöglich feststellen, ob sich die heutigen Basenjis ähnlich verhalten wie diese vorantiken Hunde. Aber die Kombination aus der uralten Geschichte der Rasse und ihrer Verspieltheit bestärkt die Studienautoren in ihrer Feststellung, dass Menschen Hunde seit sehr langer Zeit zumindest teilweise aufgrund ihrer Freude am Spiel züchten.

    „Das ist ein schöner Fortschritt in der Erforschung des Spielverhaltens“, sagt Gordon Burghardt. Der vergleichende Ethologe und Experte für Tierspiel arbeitet an der University of Tennessee in Knoxville.

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    Marc Bekoff ist ein emeritierter Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie an der University of Colorado in Boulder. Er glaubt, dass das schwedische Team „wahrscheinlich Recht mit der Annahme hat, dass das Spiel mit Menschen bei der frühen Domestizierung von Hunden wichtig war“.

    „Die Menschen hätten direkt nach diesem Merkmal selektieren“ und so mehr oder weniger verspielte Hunde züchten können, schriebt Bekoff, der nicht an der Forschung beteiligt war, in einer E-Mail.

    Ein Rätsel, in das die Studie allerdings kein Licht bringt, ist die mysteriöse Wolfsart, aus der die heutigen lebensfrohen Hunde hervorgingen. Für künftige Studien bleibt also die Frage nach den Ursprüngen unseres vierbeinigen besten Freundes bestehen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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