Deutsches Idyll: Der Kleingarten und seine Geschichte

Laube, Pacht und strenge Regeln: Der Kleingartenverein gilt als typisch deutsche Institution. Tatsächlich gibt es nirgendwo in Europa mehr Schrebergärten als in Deutschland. Warum sie in unserer Kultur so fest verankert sind.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 19. Apr. 2024, 16:07 MESZ
Eine Familie in ihrer Laube mit zwei Etagen.

Eine Familie in ihrem Kleingarten um 1920. Ihre Laube zwei Etagen – heute undenkbar, denn inzwischen gibt es klare gesetzliche Vorschriften zur Größe und dem Aufbau des kleinen Häuschens. Lauben sind nicht zum dauerhaften Wohnen gedacht und dürfen auch nicht dementsprechend ausgestattet sein.

Foto von Deutsches Kleingärtnermuseum e.V.

Sie sind grünes Idyll, Refugium, Nahrungsquelle, ein Miniaturabbild des Lebens in Deutschland: Kleingärten. Zwar gibt es sie auch in anderen europäischen Ländern, doch nirgendwo ist ihre Zahl so groß wie hierzulande: Rund 900.000 Parzellen sind derzeit in festen Gärtnerhänden.

Auf einer Gesamtfläche von etwa 44.000 Hektar hegen und pflegen Pächter*innen ihre Schollen – und sie kommen nicht allein, sondern bringen Freunde und Familie mit. „Wir gehen davon aus, dass etwa 5 Millionen Menschen in Deutschland Kleingärten nutzen“, sagt Eva Foos, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundesverbands der Kleingartenvereine Deutschlands e.V. (BKD), in dem der größte Teil der Anlagen organisiert ist.

Kleingartenvereine sind nicht nur wichtig für die kommunale grüne Infrastruktur und die Artenvielfalt, sie sind auch Orte der Begegnungen und haben einen festen Platz in der deutschen Kultur. Gleichzeitig werden sie gern als Paradebeispiel für die mutmaßlich typisch deutsche Liebe zu Regeln und Vorschriften herangezogen. 

Schließlich gibt es für Kleingärten sogar ein eigenes Gesetz: das Bundeskleingartengesetz (BKleinG). Im ersten Paragraphen definiert es genau, was ein Kleingarten überhaupt ist: Ein Garten, der dem Nutzer zur nichterwerbsmäßigen gärtnerischen Nutzung, insbesondere zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf, und zur Erholung dient und in einer Anlage liegt, in der mehrere Einzelgärten mit gemeinschaftlichen Einrichtungen zusammengefasst sind.

Diese gesetzliche Vorgabe ist Grundlage für bestimmte Vorteile, die Pächter*innen von Kleingärten haben: Kündigungsschutz für ihre Gärten und eine unschlagbar günstige Pacht von durchschnittlich 18 Cent pro Quadratmeter im Jahr. Um diese Sonderbehandlung zu verstehen, muss man einen Blick zurück werfen, denn, so Foos „was die Kleingärten so günstig macht und gesetzlich schützt, ist ihr geschichtlicher Ursprung.“

Kleingarten historisch: sechs Ursprungslinien

Hervorgegangen ist das Kleingartenwesen, wie wir es heute kennen, aus sechs verschiedenen Ursprungslinien, die auf unterschiedlichen Bedürfnissen gründeten. Vereine der Schrebergarten- und Naturheilbewegung pachteten Grundstücke zunächst rein zum Zweck der Erholung und Bewegung an der frischen Luft. Ganz nach dem Motto: Raus aus der Stadt, rein in die Natur.

Sommerfest im Schreberverein der Westvorstadt, Leipzig, im Jahr 1928. Schrebergärten sind eine der sechs Ursprungslinien, aus denen sich das Kleingartenwesen entwickelt hat. In manchen Regionen Deutschlands wird der Begriff jedoch bis heute als Bezeichnung für einen Kleingarten verwendet.

Foto von Deutsches Kleingärtnermuseum e.V.

In Armen- und Arbeitergärten stand hingegen die Selbstversorgung im Vordergrund. „Die Ursprungsidee war, allen Menschen sozial gerecht die Möglichkeit zu bieten, für die eigene Ernährung und wenig Geld Lebensmittel anzubauen“, sagt Foos.

Ausschließlich aus der Not geboren waren die Berliner Laubenkolonien. Ende des 19. Jahrhunderts war die Wohnungsnot in der Stadt so groß, dass arme Menschen auf Freiflächen zogen, dort Lebensmittel anbauten, um nicht zu verhungern, und Bretterbuden errichteten, in denen sie wohnten. „Das waren teilweise unhaltbare Zustände, es ging ums nackte Überleben“, sagt Caterina Paetzelt, Leiterin des Deutschen Kleingärtnermuseums in Leipzig.

Mehr über die bewegte Geschichte der Kleingärten in dieser Galerie:

Galerie: Historische Bilder vom Leben in Schrebergärten

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    Doch es sollten noch einige Jahrzehnte vergehen, bevor sich die sechs Ursprünge zu einer großen Organisation verbanden. „Im Prinzip sind alle Linien erst einmal parallel zueinander gelaufen – immer mit der Frage, wie man das Land weiter pachten kann“, erklärt Paetzelt. 

    Schon damals gab es Flächendruck und keinerlei Rechtssicherheit, sodass Pächter*innen sich auf das Wohlwollen der Besitzer*innen des Landes, auf dem ihre Gärten lagen, verlassen mussten. Weil man gemeinsam stärker ist, schlossen sich die vorhandenen Strukturen – sogar die autonomen Laubenkolonisten – in übergeordneten Verbänden zusammen und dem übergeordneten Bundeskleingartenverbund an, aus dem im Jahr 1921 der Reichsverband der Kleingartenvereine hervorging.

    „Manche Vereine nannten sich zuvor noch Schrebergartenverein oder Naturheilverein, sind dann aber ab 1921 dazu übergegangen, Kleingartenverein zu sagen“, so Paetzelt. „Ab 1933 gab es dann definitiv nur noch Kleingartenanlagen oder -vereine.“

    Von der Selbstversorgung zur Ankaufstelle

    Besonders deutlich wurde die Wichtigkeit der Kleingärten immer dann, wenn das Land durch Krisen ging. Anhand der Gründungsdaten kann man Paetzelt zufolge statistisch nachweisen, dass gerade in Kriegszeiten viele neue Vereine entstanden sind.

    Nach der Teilung Deutschlands spielten Kleingärten im Osten des Landes für die Ernährung der Bevölkerung eine wesentliche Rolle. Während das Wirtschaftswunder den Menschen in der BRD volle Regale bescherte, förderte die DDR-Führung den Anbau von Obst und Gemüse auf privaten Parzellen – denn Importe waren teuer oder nicht möglich. „Viele Dinge gab es dann eben nur in Kleingärten: Kirschen, Erdbeeren, teures Gemüse“, sagt Paetzelt. Überschüsse ihrer Ernte gaben Pächter*innen gegen Bezahlung in Ankaufstellen ab – oder tauschten sie privat gegen Dinge des täglichen Bedarfs.

    Pächter Emil Thierfelder posiert im Jahr 1900 stolz in seinem Garten im Schreberverein der Westvorstadt in Leipzig.

    Foto von Deutsches Kleingärtnermuseum e.V.

    Die meisten dieser Linien verfügten bereits über eine gewisse Struktur, denn, so Paetzelt: „Wo Leute zusammenkommen, muss es ein Regelwerk geben, damit die Gemeinschaft funktioniert. Es gibt ja auch eine Straßenverkehrsordnung.“ So waren die Schrebergarten- und Naturheilbewegung bereits in Vereinen und Armen- und Arbeitergärten von der Kirche, industriellen Großbetrieben oder dem Deutschen Roten Kreuz organisiert.

    Gründung des ersten Kleingartenvereins

    Der erste echte Kleingartenverein wurde im Jahr 1814 in Kappeln an der Schlei gegründet und ging aus einem bereits bestehenden Armengarten hervor. Was unterschied ihn von anderen Selbstversorgergärten? „Ganz einfach“, sagt Paetzelt. „Er war der Erste, der eine Gartenordnung hatte.“

    Ankaufstelle für Erzeugnisse aus dem Kleingarten vor einer Kaufhalle in Schwerin im Jahr 1982.

    Foto von Deutsches Kleingärtnermuseum e.V.

    Der Versorgungsaspekt von Kleingärten ist also historisch gewachsen – und bis heute wird seine Erfüllung per Gesetz sichergestellt. Für die Parzellen heißt das: Auf mindestens einem Drittel der Gartenfläche müssen Obst, Gemüse oder Kräuter angebaut werden. „Das ist ganz essenziell, denn wenn es davon Abweichungen gibt, ist die Legitimation als Kleingarten nicht mehr gegeben“, so Foos.

    Schrebergarten: Pflichten, Regeln, Fachberatung

    Auch sonst kommen Kleingärtner*innen um bestimmte Vorschriften nicht herum. Diese sind teilweise von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich – etwa die erlaubte Höhe der Hecke. Auch die Größe der Fläche, die die Gartenlaube einnehmen darf, ist klar geregelt. 

    Auch den Zeitaufwand sollte man nicht unterschätzen. „Wenn man einen Kleingarten pachtet, sollte man während der Saison mindestens ein- bis zweimal pro Woche vor Ort sein wird“, sagt Foos. „Würde man nur ab und zu mal am Wochenende gärtnern, würde man die Arbeit nicht schaffen.“ Dabei gibt es viel zu tun: Vorbereitung und Anbau im Frühling, Bewässerung im Sommer, die Ernte im Herbst.

    Parzelle im Kleingartenverein Sommerfrische e. V. in Dresden. 215.000 Kleingärten gibt es in Sachsen, so viele wie in keinem anderen Bundesland.

    Foto von Albrecht Voß / Stadtarchiv Dresden / Wikimedia Commons

    Nicht alle Neupächter*innen verfügen über gärtnerische Vorkenntnisse – kleine Misserfolge sind gerade zu Beginn also nicht ausgeschlossen. Doch wenn Gurken nicht wachsen wollen und zarte Salatpflänzchen von Schnecken gefressen werden, muss man weder direkt die Schaufel an den Nagel hängen noch den Ausschluss aus dem Verein fürchten.

    „Da gibt es auf jeden Fall großes Verständnis. Keiner hat den Anspruch, dass frischgebackene Kleingärtner*innen von der ersten Sekunde an alles richtig machen“, sagt Foos. Wichtig sei in erster Linie, dass man sich bemüht. „Aus dem Tennisverein wird man ja auch nicht rausgeworfen, wenn man nicht auf Anhieb gut Tennis spielt – dafür gibt es schließlich Trainer.“

    Das Äquivalent zum Tennistrainer ist im organisierten Kleingartenwesen die Fachberatung: Personen, die vom Verband gartenfachlich geschult werden und ehrenamtlich auf Vereinsebene helfen, wenn es Probleme im Beet gibt. „An die kann man sich mit Fragen wenden, es gibt Gartenbegehungen und Seminare“, so Foos. Für Pächter*innen ist das Angebot kostenfrei, ebenso die Fachberaterausbildung für die, die feststellen, dass sie tatsächlich einen grünen Daumen haben und ihr Wissen erweitern und weitergeben möchten.

    Naturnahes Gärtnern als Vereinssache

    Auch wenn die Regelwerke der Vereine zunächst etwas anderes vermuten lassen, hat man bei der Gestaltung des Gartens und bei der Entscheidung, welche Pflanzen darin wachsen sollen, viele Freiheiten. Ob man die Rasenkanten ordentlich stutzt oder die Natur walten lässt, ist jedem selbst überlassen – vorausgesetzt man lässt die Parzelle nicht verwildern. „Es muss ersichtlich sein, dass man aktiv etwas tut“, sagt Foos.

    Ökologisches und naturnahes Gärtnern ist jedoch nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht und wird von den Verbänden und vielen Vereinen unterstützt. „Da hat sich in der Gartenkultur viel verändert“, so Foos, die beim Bundesverband das Projekt Kleingärten für Biologische Vielfalt koordiniert. „Da geht es unter anderem darum, die Fachberater*innen in dieser Hinsicht noch besser zu schulen und Gartenneulinge gleich von Anfang an direkt in diesen Bereich einzuführen.“

    Mit Schulungen, Workshops vor Ort und Onlineangeboten, die auch Nicht-Kleingärtner*innen zur Verfügung stehen, soll das ökologische Potenzial von Kleingärten ausgeschöpft werden. „Das Angebot ist neu, der Inhalt aber nicht“, so Foos. „Der Bundesverband, Kleingartenverbände und -vereine sind in diesem Bereich schon seit vielen Jahren aktiv.“ Bei Anlagenbesuchen könne man inzwischen deutlich die positive Entwicklung sehen: von Kleinstbiotopen und Insektenhotels über Wildblumenwiesen, Gartenordnungen, die angepasst werden und ganzen Anlagen, die als naturnahe Gärten zertifiziert sind.

    Neue Generation der Kleingärtner*innen

    Vorangetrieben wird dieses Umdenken im Kleingarten möglicherweise auch durch einen deutlichen Wandel in der Mitgliederstruktur der Vereine. Kleingärten verbinden alle Generationen, Nationen und gesellschaftliche Schichten. Der Altersdurchschnitt unter den Pächter*innen liegt zwar noch bei 60 Jahren, er wird aber durch junge Familien gedrückt, die die Gärten schon vor einiger Zeit für sich entdeckt haben. Mit 44 Prozent aller Bewerbungen machen sie inzwischen die größte Interessentengruppe aus, dicht gefolgt von Menschen mit Migrationshintergrund. In Zeiten der Corona-Pandemie kam es zu einem regelrechten Boom bei der Nachfrage, doch schon vorher war sie stark gestiegen und der Trend hält an.

    Das Problem: Vielerorts ist das Angebot an verfügbaren Kleingärten zu niedrig. In Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg wartet man derzeit im Schnitt fünf Jahre auf einen Kleingarten, in Thüringen, Schleswig-Holstein, dem Rhein- und Saarland sind es sechs Monate bis zwei Jahre, in Niedersachsen hingegen nur ein paar Wochen. „Etwas Geduld muss man mitbringen, aber es kommt auch immer darauf an, wo man sucht“, sagt Foos. In ländlichen Gebieten und vor allem in den ostdeutschen Bundesländern gebe es in manchen Vereinen sogar Leerstand.

    Drei Männer treffen sich in den Sechzigerjahren zum Kartenspiel in einem Kleingartenverein in Berlin. Die Anlagen haben nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Bedeutung. Hier kommen Menschen zusammen, die sonst nicht aufeinandertreffen würden.

    Foto von Deutsches Kleingärtnermuseum e.V.

    Neue Anlagen werden nur selten erschlossen, denn die Flächenkonkurrenz ist groß. In Hamburg ist man darum dazu übergegangen, frei gewordene Parzellen zu teilen und den Bestand so sukzessive zu erweitern.

    Grüne Oasen für alle

    „Bei den bestehenden Kleingartenanlagen versucht man es so einzurichten, dass möglichst viele Menschen etwas davon haben“, sagt Foos. So würden zum Beispiel an manchen Standorten mehrere Anlagen zu Kleingartenparks zusammengeschlossen, Spielplätze ausgebaut und Sitzmöglichkeiten geschaffen, damit auch die, die keinen eigenen Garten ergattern konnten, sich gern in den Anlagen aufhalten. 

    Das ist nicht nur erlaubt, sondern den Vereinen gesetzlich vorgeschrieben. Zumindest tagsüber sollen sie demnach für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Laut Foos wird in dieser Hinsicht viel getan. „Man merkt, dass es eine aktive Öffnung nach außen gibt: durch Willkommensschilder, Lagepläne, öffentliche Veranstaltungen oder mal einen Pflanzentauschschrank oder -markt.“

    Alle, denen der Spaziergang durch die Anlage nicht genug ist, können sich beim Kleingartenverein oder -verband ihrer Wahl um eine Parzelle bewerben und einen freien Kleingarten – nach entsprechender Wartezeit – besichtigen. Neben den laufenden Kosten für Pacht, Mitgliedsbeitrag, Nebenkosten und Abgaben an die Kommune leisten Neupächter*innen eine einmalige Ablösezahlung für die Laube an ihre Vorgänger. Der Wert wird von Sachverständigen des Vereins bestimmt und liegt im Schnitt bei 2.000 Euro, in Großstädten aber auch mal etwas höher.

    Vererben kann man seinen Kleingarten übrigens nicht. „Das hängt mit dem sozialen Gedanken zusammen“, sagt Foos. Jeder soll die Chance auf seine grüne Oase haben. Und wer sich eine gesichert hat, bleibt oft viele Jahre. Für diese Menschen ist der Kleingarten ein essenzieller Teil ihres Lebens. Das Übernachten in den Lauben ist zwar nicht gestattet, doch abgesehen davon „verbringen sie ganze Sommer Tag für Tag von früh bis spät in ihren Gärten“, so Foos. „So sind Kleingärten wie ein kleines Zuhause.“

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