Menschen oder Eis: Was besiegelte das Schicksal der Höhlenbären?

Eine umfangreiche DNA-Analyse gewährt Einblicke in die Geschichte und den Niedergang der großen Säuger, mit denen unsere Vorfahren ihren Lebensraum teilten.

Von Tim Vernimmen
Veröffentlicht am 14. Mai 2020, 14:01 MESZ
Schädel eines Höhlenbären

Dieser Schädel eines Höhlenbären stammt aus Italien und gehört zu den letzten Spuren dieses prähistorischen Tieres. Wissenschaftler haben lange darüber diskutiert, welche Faktoren zur Ausrottung der Art beitrugen. Eine Analyse von Höhlenbären-DNA deutet darauf hin, dass die Ankunft des modernen Menschen in Europa eine größere Rolle spielte als klimatische Veränderungen.

Foto von Matteo Romandini

Hunderttausende Jahre lang lebten die Neandertaler in Europa. Dort begegneten ihnen tagtäglich viele Gefahren. Mammuts, Wollnashörner und Säbelzahnkatzen waren auf dem Kontinent verbreitet. Auch in den Höhlen, in denen diese Verwandten des Menschen manchmal Schutz suchten, lebten nicht selten bereits andere große Säugetiere: Dort trafen sie auf Höhlenbären. Die größten dieser mächtigen Kolosse konnten vermutlich bis zu 1.200 Kilogramm auf die Waage bringen.

Auch heute noch diskutiert die Forschergemeinde darüber, warum all diese großen Tiere schlussendlich verschwanden. Manche Wissenschaftler glauben, dass sie dem Letzteiszeitlichen Maximum zum Opfer fielen, das seinen Höhepunkt vor etwa 26.500 Jahren erreichte. Andere Experten sind eher der Ansicht, dass der Auftritt einer neuen Menschenart mit einem Talent für die Jagd – Homo sapiens – dem Verschwinden der Tiere nachgeholfen haben könnte.

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Besonders eine Studie, die im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschien, deutet darauf hin, dass Menschen sehr wahrscheinlich eine entscheidende Rolle für das Aussterben der Höhlenbären spielten.

„Wenn wir es nicht nach Europa geschafft hätten, sähe ich keinen Grund, warum es Höhlenbären nicht auch heute noch geben sollte“, erzählt der Co-Autor Hervé Bocherens. Der Paläobiologe von der Universität Tübingen erforschte 30 Jahre lang die Überreste von Höhlenbären.

Auf gewisse Weise lassen die Ergebnisse eventuell auch erahnen, welches Schicksal den heutigen Braunbären bevorstehen könnte. Derzeit ist ihre Population stabil – aber Konflikte mit Menschen und eine zunehmend wärmere, beengtere Welt könnten das ändern.

Der Clan der Höhlenbären

Bocherens und sein Forscherteam sammelten unter der Leitung von Verena Schuenemann von der Universität Zürich die Überreste von 59 Höhlenbären aus ganz Europa zusammen. Aus ihnen extrahierten sie die mitochondriale DNA (mtDNA). Diese winzigen Abschnitte genetischen Materials werden nur von Müttern vererbt und können daher die genetischen Beziehungen zwischen Tieren von unterschiedlichen Fundorten offenbaren. Viel wichtiger noch: Die mtDNA kann auch Hinweise auf frühere Populationsgrößen liefern.

„Die genetischen Modelle der Populationen zeigen: Je vielfältiger die mtDNA aus den Fossilien desselben Zeitabschnitts ist, desto größer muss der Bestand gewesen sein. Das erlaubt es uns, für jeden beliebigen Zeitpunkt eine Schätzung zu der Zahl der Bären abzugeben“, so Bocherens.

BELIEBT

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    Als die Wissenschaftler ihre Analyse durchführten, zeigten die Daten, dass die Population der Höhlenbären vor etwa 40.000 Jahren zu schrumpfen begann – also lange vor Beginn der letzten Eiszeit. Das bedeutet auch, dass die Höhlenbären frühere Zeitabschnitte, in denen die Temperaturen beträchtlich fielen, bestens überstanden hatten. Stattdessen scheint ihr Niedergang genau zu der Zeit zu beginnen, in der sich unsere eigene Art in Europa auszubreiten begann.

    „Es gibt ein paar Hinweise darauf, dass einige moderne Menschen sogar noch früher nach Europa kamen“, sagt Bocherens. „Aber soweit wir wissen, besiedelten sie den Kontinent erst ernsthaft zu der Zeit, als die Zahl der Höhlenbären zu schrumpfen begann.“

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    Obwohl wahrscheinlich auch Neandertaler Höhlenbären töteten, hatten moderne Menschen womöglich fortschrittlichere Jagdtechniken. Außerdem suchten sie vermutlich häufiger Höhlen auf, argumentiert Bocherens. Schon bald waren die anatomisch modernen Menschen den Neandertaler zahlenmäßig überlegen und besiegelten damit das Schicksal der Höhlenbären.

    Die Arbeit der Forscher „stellt die maximale Menge an Informationen dar, die wir aus Daten von mtDNA gewinnen können“, sagt Michael Knapp, ein Paläobiologe von der University of Otago in Neuseeland. Knapp war an der Studie nicht beteiligt, veröffentlichte aber früher schon eine Forschungsarbeit, die auf einem kleineren Datensatz basierte, aber ähnliche Ergebnisse hervorbrachte.

    Grundpfeiler des Bärenlebens

    Womöglich hatten es die Menschen nicht nur des Fleisches wegen auf Höhlenbären abgesehen, sondern auch wegen ihres Fell – oder einfach, weil sie eine Gefahr darstellten. Als sich die Menschen in Europa ausbreiteten, wurde es für die Höhlenbären womöglich schwerer, bei Kälte in mildere Gebiete abzuwandern oder genügend pflanzliche Nahrung zu finden, um ihr Gewicht zu halten. Restpopulationen überlebten nur in den entlegenen Winkeln Europas, beispielsweise in den italienischen Alpen, wo die jüngsten Knochenfunde etwa 24.000 Jahre alt sind.

    „Aber je isolierter diese Populationen wurden, desto stärker verarmten sie genetisch. Außerdem wurde es für die Tiere immer schwieriger, auf der Suche nach einem Partner andere Populationen zu finden“, sagt Bocherens. Das könnte auf Dauer ihren Nachwuchs geschwächt haben, sodass die gesamte Art anfälliger für Krankheiten wurde.

    Braunbären überlebten hingegen bis in die Moderne – womöglich, weil sie kleiner waren und einen abwechslungsreicheren Speiseplan haben. Dazu gehören auch Fleisch und Aas. Trotzdem liegt in dem Niedergang der Höhlenbären auch eine Warnung für die Braunbären, sagt Bocherens.

    „Zuerst einmal zeigt das, dass die isoliertesten Populationen in Gefahr sind. Deshalb sollten wir alles tun, was in unserer Macht steht, um den Austausch von Individuen zwischen ihnen zu ermöglichen – selbst wenn das bedeutet, dass wir die Tiere eigenhändig transportieren müssen.“

    Noch wichtiger sei ihm zufolge vermutlich, dass sich das Klima nun wieder drastisch verändert, dieses Mal durch den Einfluss des Homo sapiens. Deshalb reicht es nicht, Schutzgebiete zu haben, in denen die Tiere in Ruhe leben können. In einer Welt, die zunehmend durch Straßen, Schienen, Zäune und Gebäude zerteilt wird, müssen wir sicherstellen, dass die Bären weiterhin herumreisen können, um die Gesundheit und Vielfalt ihrer Populationen zu erhalten.

    „Eine Art kann klimatische Veränderungen überleben, wenn sie den sich verändernden Temperaturen folgen kann“, sagt Bocherens. „Aber wie das Beispiel der Höhlenbären uns zeigt, kann der Klimawandel ein sehr großes Problem werden, wenn man festsitzt.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

    Bären

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