Heimische Tierwelt im Klimawandel – stirbt der Kuckuck aus?
Von der Nordsee bis zum Alpengipfel: Der Klimawandel wirbelt unsere Ökosysteme spürbar durcheinander. Allbekannte Arten könnten verschwinden. Doch es gibt auch Gewinner.
Seine Rufe werden seltener: Der Kuckuck leidet unter den Folgen der Klimaveränderung.
Schon in wenigen Jahrzehnten könnte weltweit jede zweite Tier- und Pflanzenart ausgelöscht sein. Ein solch düsteres Szenario hält der WWF Deutschland in seiner aktuellen Klimastudie für realistisch, sollte sich die globale Durchschnittstemperatur um 4,5 Grad erhöhen. Selbst bei einem Anstieg um zwei Grad würde jede vierte Spezies dem Klimawandel zum Opfer fallen.
„Naturparadiese wie der Amazonas oder die Galapagosinseln drohen noch zu Lebzeiten unserer Kinder weitreichend zerstört und der Hälfte ihrer Tier- und Pflanzenarten beraubt zu werden“, sagt WWF-Vorstand Christoph Heinrich. Hitzewellen, Unwetter, Gletscherschwund: Auch vor unserer eigenen Haustür macht der Klimawandel nicht halt.
Nach den Erkenntnissen des Deutschen Wetterdienstes zeigten sich in den letzten 40 Jahren zunehmend Sommer mit deutlich höheren Temperaturen und längeren Hitzewellen als zuvor. Am heißesten war es in Deutschland in den Jahren 2003, 2018 und 2019. Schweizer und Österreicher erlebten die wärmsten Sommer 2003, 2015 und 2019. Vor allem kälteliebenden Arten macht dieser Wandel zu schaffen.
Galerie: Verlierer und Gewinner des Klimawandels
Alpenbewohner fliehen in höhere Lagen
Schon vor gut zehn Jahren sorgte eine Studie über den teils dramatischen Rückgang der Bachforelle in den Schweizer Fließgewässern für Aufsehen. Die sensible Fischart braucht kühle, sauerstoffreiche Gewässer. Nicht nur Lebensraumverlust und Gewässerverschmutzung, sondern auch die steigenden Wassertemperaturen setzen ihr zu. Ursprünglich nahezu überall im Alpenraum zu finden, droht die Bachforelle immer seltener zu werden. So sind die dokumentierten Fangzahlen in der Schweiz allein in den letzten zehn Jahren um ein Drittel gesunken. In diesem Jahr wurde die Forelle in der Alpenrepublik zum Fisch des Jahres gekürt.
Biologen rechnen damit, dass sich nicht nur der Lebensraum empfindlicher Fischarten auf lange Sicht zunehmend in höhere Regionen verschieben wird. Auch alpine Huftiere wie Steinbock und Gämse zieht es weiter nach oben, wie aus einem aktuellen Fachbeitrag der Naturwissenschaftlichen Rundschau hervorgeht. Ein ähnliches Schicksal droht vielen anderen kältebedürftigen Tieren und Pflanzen der Bergregionen. Ob Alpensalamander, Schneehuhn oder Enzian: Ihr angestammter Lebensraum schrumpft im Zuge der Erderwärmung.
Doch nicht nur die sensiblen Alpenbewohner sind betroffen. Bis zu 30 Prozent der bislang heimischen Tier- und Pflanzenarten könnten in den nächsten Jahrzehnten aus Deutschland verschwunden sein, warnt das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in seinem Artenschutzreport. Einst allgegenwärtige Arten wie der Kuckuck zögen sich schon seit einigen Jahren in kühlere Regionen zurück.
Zugvögel – besonders anfällig für den Klimawandel
Der Kuckuck steht beispielhaft für die fragilen Lebensgemeinschaften im Tier- und Pflanzenreich, die durch klimatische Veränderungen rasch empfindlich gestört werden. Als Langstrecken-Zugvogel kehrt er erst Mitte April aus seinem Winterquartier zurück. Weil aber typische Wirtsvögel wie der Teichrohrsänger, in dessen Nester der Kuckuck seine Eier legt, wegen der nun wärmeren Frühjahre eher zu brüten beginnen, wird es für den Brutparasiten immer schwieriger, noch Nester mit Eiern zu finden.
„Zugvögel sind besonders anfällig für den Klimawandel, weil sie auf intakte Verhältnisse am Brutplatz, in Rastgebieten und im Überwinterungsgebiet angewiesen sind“, erklärt Sebastian Kolberg, Referent für Artenschutz beim Naturschutzbund Deutschland. „Schneller Wandel wie der derzeitige Klimawandel bedeutet vor allem für Spezialisten, die sich zum Teil über lange Zeit an besondere und damit auch seltenere Lebensräume angepasst haben, ein Problem. Leiden diese Lebensräume unter dem Klimawandel, so betrifft das eben auch die Art.“
Auch wenn heimische Säugetiere nach Kolbergs Worten weniger Probleme mit dem Klimawandel haben, zieht sich das Dilemma wie ein Domino-Effekt durch die Ökosysteme: Wandelt sich das Klima, ändern sich die Nahrungsbeziehungen, Verhaltensmuster und Fortpflanzungszyklen. Tiere und Pflanzen siedeln sich in neuen Verbreitungsgebieten an, heimische Arten müssen mit eingewanderten Arten konkurrieren.
Viele Schmetterlingsarten und zahlreiche andere Insekten etwa sind auf bestimmte Futterpflanzen angewiesen. Hochspezialisierten Amphibien wie dem Moorforsch drohen im regenarmen Frühjahr die Laichgewässer auszutrocknen. „Brotfischen“ wie Kabeljau und Hering werden die Gewässer vor der deutschen Küste zu warm.
Goldschakal und andere Neubürger auf dem Vormarsch
Doch es gibt nicht nur Verlierer: Einige Singvogelarten wie Zaunkönig oder Zilpzalp profitieren von milden Wintern mit einem ausreichenden Nahrungsangebot an Insekten. Fischjägern wie dem Eisvogel kommen unvereiste Gewässer gelegen. Zu den Gewinnern zählt auch der Borkenkäfer. Die trockenen Sommer haben vor allem die Fichtenbestände stark geschwächt, so dass sich das gefräßige Insekt explosionsartig vermehren konnte und den Wäldern derzeit schwere Schäden zufügt.
Ebenso berüchtigt ist der Eichenprozessionsspinner. Begünstigt durch milde Temperaturen, breitet sich der unscheinbare Nachtfalter seit Jahren weiter aus. Die Brennhaare der Raupen verursachen heftige allergische Reaktionen. Zu seinen wenigen natürlichen Feinden zählt ausgerechnet der Kuckuck.
Galerie: Neues Raubtier erobert Deutschland: Goldschakal auf dem Vormarsch
Grundsätzlich beobachten Biologen, wie sich wärmeliebende Arten immer weiter nördlich ansiedeln – darunter so markante Vogelarten wie Bienenfresser und Wiedehopf oder Insekten wie Gottesanbeterin und Blauschwarze Holzbiene. Sogar ein Raubtier aus südlichen Gefilden scheint sich neuerdings in Deutschland wohlzufühlen: der wolfsähnliche Goldschakal. Schneearme Winter und trockenheiße Sommer bieten ihm gute Bedingungen.
„Der Klimawandel ist ein Grund für die Ausbreitung des Goldschakals“, erklärt Jörg Tillmann von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Wenn sich der scheue Vierbeiner hier etabliere, werde er das Ökosystem verändern.
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