Störche in Deutschland: Vom Sorgenkind zur Plage?
Lange galt der Weißstorch in Deutschland als bedroht, heute ist er vielerorts zurück – und sorgt damit nicht nur für Begeisterung. Doch ein Besuch in der Storchenregion am Oberrheingraben zeigt: Das Comeback steht auf wackeligen Beinen.

Frühling ist Paarungszeit: Hat sich ein Storchenpaar gefunden und sich wieder am alten Nest getroffen – oder für einen neuen Horst entschieden – wird es Zeit, für Nachwuchs zu sorgen. Trotz der wachsenden Population in Deutschland steht es um die Überlebenschancen der Jungstörche schlecht.
Es ist ein grauer Frühlingstag im Oberrheingebiet. Die Bäume hier, südwestlich von Karlsruhe, haben noch kaum Blätter, alles wirkt noch etwas trist. So ist der knallrote Schnabel des Weißstorchs, der plötzlich am Himmel erscheint, ein willkommener Farbklecks. Mit seinen langen Flügeln schwingt sich der Vogel beinahe geräuschlos durch die Luft, um sich dann mit seinen langen roten Beinen auf einem Kamin niederzulassen.
„Und da wären wir schon beim ersten Problem”, sagt Stefan Eisenbarth und setzt sein Fernglas ab. „Dieser Schornstein sieht als Nistplatz zwar geeignet aus – aber er ist noch in Betrieb!“ Sowohl für den Rauchabzug als auch für die Vögel kann das Risiken bergen: Heiße Abgase können nur schlecht entweichen – die Küken im schlimmsten Fall ersticken. Doch einmal gebaut, darf ein Nest nicht einfach entfernt werden. Wie mit solchen Fällen umzugehen ist, weiß Stefan Eisenbarth.
Der 63-jährige ist seit 2009 als ehrenamtlicher Storchenbetreuer beim NABU Baden-Württemberg tätig. Gemeinsam mit seiner Kollegin Annette Jung, 53, betreut er rund 90 Storchennester, von Karlsruhe bis Iffezheim bei Rastatt. Noch vor wenigen Jahrzehnten war der Weißstorch (Ciconia ciconia) hier – wie aus großen Teilen Deutschlands – beinahe verschwunden. Heute ist er in einigen Dörfern und Städten so präsent, dass manche Zeitungen schon von „Plagen“ schrieben. Als deutsche Storchenhochburg gilt vor allem die Region entlang des Oberrheingrabens. Von Rastatt aus begleiten wir Eisenbarth und Jung auf einer ihrer Touren, denn wir wollen wissen: Wie geht es den Tieren hier wirklich? So einfach sei das nicht zu beantworten, sagen die beiden. Es gebe mehr Störche, aber auch mehr Probleme – diese bekommen vor allem die Vögel zu spüren.


Ungünstiger Neubau: Ursprünglich hatte sich das Storchenpaar eine geköpfte Birke am Spielplatz für sein Nest ausgesucht. „Diese trieb allerdings wieder aus – und so verlagerten sie ihren Horst auf diesen, leider funktionstüchtigen und betriebenen, Kamin“, sagt Stefan Eisenbarth.
Die ehrenamtlichen Storchenbetreuer*innen Annette Jung und Stefan Eisenbarth bestaunen ein besonders hübsch gelegenes Storchennest auf einem abgestorbenen Baum.
Schnell wird klar: Wer im Oberrheingebiet auf Storchentour gehen will, sollte Zeit mitbringen. Nicht, weil man lange suchen muss, sondern weil es so viele Nester gibt, dass Eisenbarth ständig anhält. Vom Bodensee bis Oberschwaben bietet der Rheingraben den Weißstörchen einen perfekten Lebensraum mit großem Nahrungsangebot. Horste findet man überall: auf Dächern, Baumstumpfen, Strommasten – und auf intakten Schornsteinen. Mindestens fünfmal in der Brutsaison (von Mitte März bis Ende August) werden diese Nester von den zwei Ehrenamtlichen abgefahren und kontrolliert.
Storchenzeit: Beobachten, Beringen und Besendern
Dafür sind Eisenbarth und Jung stets mit Fernglas oder Kamera unterwegs. Sie notieren Standorte von neuen Nestern, die Ringnummern der dazugehörigen Störche und ihre Bruterfolge in einer langen Tabelle. Sämtliche gesammelten Daten leiten sie schließlich an die Beringungszentrale am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie („Vogelwarte Radolfzell“) weiter.

Deutlich zu erkennen: Der Ring mit der Aufschrift DER A7071. Die ersten beiden Buchstaben stehen für Deutschland, das R für die Vogelwarte (des Max Planck Instituts) Radolfzell. Neben dem männlichen Geschlecht kann Annette Jung ihrer Liste auch das Alter entnehmen: „Er ist 2007 geschlüpft, also schon ordentlich alt.“
Das Beringen gehört ebenfalls zum Aufgabenbereich von Storchenbetreuer*innen. Ab einem Alter von etwa vier bis sechs Wochen ist der perfekte Zeitpunkt dafür. „Die Küken verfallen dann noch in Akinese, das bedeutet, sie stellen sich tot, sobald man sich ihnen nähert“, sagt Eisenbarth. Jedem beringten Vogel werden dann auch Federn entnommen. Mit einer DNA-Analyse wird das Geschlecht bestimmt und ebenfalls dem Datensatz zugeführt – denn im Gegensatz zu anderen Vogelarten haben sowohl Jungtiere als auch ausgewachsene Störche keinerlei ersichtliche geschlechtsspezifische Merkmale. „Lediglich bei der Paarung kann man das Männchen vom Weibchen unterscheiden“, sagt Annette Jung.
Um noch genauere Daten zu erhalten, werden einige Jungstörche zusätzlich mit Sendern ausgestattet – Senderstörche erhalten im Gegensatz zu beringten Tieren sogar die Namen ihrer Paten: „Bisher haben wir dafür immer Menschen und Intuitionen genommen, die uns unterstützen“, sagt Annette Jung. So sei Senderstorch Florian Karlsruhe West nach der Westwache der Berufsfeuerwehr Karlsruhe benannt, die Jung und Eisenharth schon jahrelang bei der Beringung mit der Drehleiter unterstützen.“
Die kleinen Kästchen mit Antenne wiegen etwa 40 Gramm und sind mit den Jahren immer weniger sichtbar, da sie vom Federkleid der Vögel verborgen werden. Mit ihnen lassen sich die Routen der Tiere genauestens verfolgen. Nicht immer gibt es dabei erfreuliche Nachrichten: „Mein erster besenderter Storch, Steffo, wurde von einem befreundeten marokkanischen Tierarzt tot aufgefunden“, sagt Stefan Eisenbarth.
Rückkehr durch Nachzucht
So sehr ihn das Einzelschicksal von Steffo berührt, erfüllt ihn doch auch Stolz, sobald er über die Bestandsentwicklung der Störche erzählt. Denn die Vielzahl an Horsten hier in der Region und deutschlandweit ist das Ergebnis einer beachtlichen Erfolgsgeschichte des Artenschutzes: Einst war der Weißstorch in Deutschland beinahe ausgestorben. Den Tiefpunkt markierte das Jahr 1984 mit nur 3.403 verbliebenen Horstpaaren. Im Gebiet von Eisenbarth war es schon Jahre vorher kritisch: „1975 ist im Dorf Steinmauern, zwischen Rastatt und Karlsruhe, das letzte Brutpaar bei uns weggebrochen“, erinnert er sich.
Doch das Land Baden-Württemberg und der NABU reagierten mit Zuchtprogrammen und Auswilderungen, mithilfe von Störchen aus Polen oder aus illegaler Haltung. In Schwarzach im Odenwald wurden damals die ersten Jungtiere gezüchtet. Mit Erfolg. Das Schutzprojekt griff, der Bestand erholte sich. „Ein Brutpaar wurde in Rheinstetten ausgewildert – da war ich gerade bei der Stadt als Gärtnermeister angestellt. Irgendwann kam man dann am Storch nicht mehr vorbei“, so Eisenbarth. 2024, vier Jahrzehnte nach dem schwärzesten Jahr für den Weißstorch in Deutschland, konnte der NABU deutschlandweit rekordverdächtige 13.266 Brutpaare vermelden.

Wie genau sich die Population in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte, kann etwa über die interaktive Karte der Weißstorcherfassung eingesehen werden.
Doch mit der wachsenden Population wachsen auch die Probleme. In den letzten Jahren sorgten Weißstörche sogar für überraschend negative Schlagzeilen: In der kleinen Gemeinde Hohenfels bei Bodensee, weiter südlich in Baden-Württemberg, war von einer Plage die Rede. Auf drei Einwohner kam dort rechnerisch ein Vogel, las man in Artikeln. Und während manche Anwohner die Störche als Naturidyll schätzten, ärgerten sich andere über Kot, Lärm und übermäßigen Fraßdruck. Der Bürgermeister forderte daraufhin in einem offenen Brief an das Land einen Masterplan zum Umgang mit geschützten Arten.
Eisenbarth und Jung schütteln darüber den Kopf. „Das war eine kurzfristige Versammlung von flüggen Jungstörchen. Sowas kommt immer wieder vor: Die Vögel versammeln sich, bevor sie gemeinsam ihren ersten Zug antreten“, sagt Eisenbarth. Ein weiterer Grund für den großen Jungstorchentrupp war, dass nach einer Schlechtwetterperiode viele Felder gleichzeitig bestellt wurden. Durch große Maschinen starben zahlreiche Kleintiere – hinzu kam der Geruch von frisch gemähtem Gras – ein für Störche über Kilometer hinweg wahrnehmbarer Duft, der sie in großer Zahl anzog.
Wie gut der Geruchssinn der Vögel ist, wurde lange unterschätzt. Bis Forschende um Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, 2021 den Beweis erbrachten: In Experimenten mit Geruchsstoffen kamen Störche aus bis zu 25 Kilometern Entfernung angeflogen.
Der Storch als Sympathie- und Konfliktträger
So weit ist es im Gebiet von Eisenbarth und Jung noch nicht. Wir halten am Rand des kleinen Örtchens Plittersdorf. Hier steht ein Horst mitten in einem Vorgarten. Die Scheu vor den Menschen haben viele Vögel längst verloren. Manchmal entpuppt sich das als Glücksfall, erzählt Eisenbarth: „2021 ist das Nest während eines Gewitters in Flammen aufgegangen.“ Anwohner*innen hatten den Brand bemerkt und die Feuerwehr gerufen. „So konnten die zwei Küken rechtzeitig gerettet werden.“
Überhaupt sind die meisten Menschen Storchen gegenüber sehr positiv eingestellt. Kein Wunder, steht der Vogel in der deutschen Kultur doch seit Jahrhunderten für Glück, Fruchtbarkeit und Frühlingsbeginn. Jedes Kind kennt die Bilder vom „Klapperstorch“, der die Babys bringt. Dem NABU selbst dient der Vogel als Teil des Logos.
Doch zu viel Verständnis für das Brutverhalten der beliebten Vögel kann auch zu Konflikten führen. Warum, das weiß Bernd Petri. Er ist Sprecher der Bundesarbeitsgruppe Weißstorchschutz des NABU. Seit 2009 beschäftigt sich der Ornithologe und Gutachter beinahe täglich mit Problemnestern. Das sind solche, die beispielsweise entlang der Stromtrassen der Deutschen Bahn oder in Umspannwerken zu technischen Problemen führen. „Allein im Rhein-Main-Ballungsraum brüten bereits gut 100 Paare auf Hochspannungsmasten. Das gefährdet die Netzsicherheit – und die Störche“, sagt Petri am Telefon. Neben wirtschaftlichen Schäden für die Betreiber komme es regelmäßig dazu, dass die Störche mit ihrem bis zu eineinhalb Meter langen Kotstrahl eine Leitung treffen – und innerlich verbrennen. „Störche sind fantastische Tiere – gerade deshalb sollte man sie nicht überall gewähren lassen.“

„Das Brüten auf Hausdächern ist ein Verhalten, das Störche im Elsass erlernt und verbreitet haben“, sagt Bernd Petri. Laut Stefan Eisenbarth ist von dem Kot, der während der Brutsaison rund um die Horste anfällt, nach einigen Regenschauern nichts mehr zu sehen. Wem ein Storchennest auf dem eigenen Dach dennoch ungelegen kommt, muss rechtzeitig handeln: Denn einmal gebaut, darf es ohne Genehmigung nicht entfernt werden.
So ist er auf der Suche nach effektiven Lösungen. Kleine Windräder, die Störche vertreiben sollen, helfen laut Petri nicht immer: „Die Störche legen sie oft mit Ästen einfach still.“ Auch neue Nistplätze auf Gitter- oder Strommasten seien keine gute Idee. „Die jungen Störche merken sich das – und bauen später selbst wieder auf solchen gefährlichen Stellen.“ Petri findet: Am besten ist es, wenn man Störche dazu bringt, selbständig Neste auf Bäumen zu errichten – das sei natürlicher und sicherer.
Bestand von Ost- und West-Störchen entwickelt sich unterschiedlich
Insgesamt sei die Lage der Störche in Deutschland gut, sagt Petri. Doch: „Durch Deutschlands Storchenwelt verläuft eine unsichtbare Grenze.“ Diese wird am Zugverhalten der Vögel festgemacht: Es wird zwischen Ost- und Westziehern unterschieden, also jenen Storchen, die im Winter nach Osten oder Westen ziehen.

Auf der Website des Nabu-Blogs „Störche auf Reisen“ liefert der Storchenexperte Kai-Michael Thomsen regelmäßige Updates zu den aktuellen Standorten einiger in Deutschland besenderter Störche. Gut zu erkennen: Die Ost- und Westrouten der Vögel.
Aktuell geht es den Ostziehern laut Petri deutlich schlechter: Grund für den Rückgang seien etwa die längeren Reiserouten und die damit verbundenen größeren Gefahren oder die spätere Rückkehr der Züge nach Deutschland. Denn den Westziehern, mit ihren oftmals deutlich kürzeren Reisen, geht es in Deutschland mittlerweile so gut, dass sie teilweise nur noch über kurze Strecken oder überhaupt nicht mehr ziehen: Immer mehr Tiere verbringen den Winter in der Bundesrepublik. „Auch bei Schneefall oder längeren Frostperiden kommen die Störche gut zurecht, Daunenmantel und Deckfedern schützen sie vor der Kälte“, sagt Bernd Petri. Entscheidend sei nur die Nahrungsverfügbarkeit. „Die Störche sind eben Opportunisten.“
Sterblichkeit von Jungstörchen – und das Problem mit Gummis
Doch auch wenn die Zahlen sich im Westen gut entwickeln, machen sich Annette Jung und Stefan Eisenbarth in den letzten Jahren vermehrt Sorgen um den Nachwuchs ihrer Schützlinge. Denn in ihrem Betreuungsgebiet fliegen im Schnitt pro Nest nur 0,55 Jungstörche aus – statt der je nach Bundesland durchschnittlichen ein bis 2,2 flüggen Tiere. „Von denen überleben wiederum 70 Prozent das erste Jahr nicht. Für einen Erhalt der Population reicht das aktuell nicht“, sagt Eisenbarth.
Um die genauen Todesursachen ihrer Schützlinge zu erfahren, ließen die beiden im Jahr 2024 zehn tot aufgefundene Jungstörche untersuchen: „Neun davon sind durch einen Magenverschluss jämmerlich verhungert“, sagt Stefan Eisenbarth.
Die Gründe für die verschlossenen Mägen präsentiert Annette Jung sogleich: Fein säuberlich, in beschrifteten Weckgläsern, archiviert sie sogenannte Speiballen, die sie rund um ihre betreuten Horste auffindet. Normalerweise bestehen diese aus sämtlichen Bestandteilen der Nahrung, die nicht durch die Magensäure zersetzt werden – etwa aus Flügeldecken und Chitinteilen von Insekten oder Fell von Mäusen. Alles, was nicht verdaut wird, würgen die Störche also wieder aus. Immer öfter findet Jung allerdings Speiballen vor, die kaum mehr aus Nahrung, sondern teils gänzlich aus Plastik-, Silikon- und Gummiteilen bestehen.


So sieht ein „schöner“ Speiballen – auch Gewölle genannt – eines Storches aus: Er besteht lediglich aus zermahlenen und unverdaulichen Teilen seiner Nahrung.
Immer öfter muss Annette Jung bei Kontrollgängen rund um die Horste Speiballen einsammeln, die hauptsächlich aus Silikon- oder Gummiteilen bestehen
„Wir werden oft ungläubig gefragt, ob die Störche das wirklich fressen“, sagt Annette Jung. „Deshalb hebe ich das hier alles auf, weil es uns sonst keiner glaubt.“ Da Störche an ihren Schnabelspitzen über keine Geschmacksrezeptoren verfügen, tasten sie nach Futter. Ob es sich dabei um einen nahrhaften Wurm oder ein potenziell tödliches Gummi handelt, kann der Storch nicht unterscheiden. Und so füttern sie ihren Nachwuchs anstatt mit Nestlingsnahrung in Form von Regenwürmern mit tödlichem Müll.


Eineinhalb Kilo in nur einem Jahr: Unzählige Gummibänder, Schläuche und Silikonfugen konnte Annette Jung rund um ein einziges Storchennest sammeln. Der menschengemachte Müll ist vor allem für den Storchennachwuchs tödlich.
Senderstorch Mario ist nicht nur an seinem Ring mit der Aufschrift DER A3R62 zu erkennen – auch die kleine Antenne am Rücken blitzt bei genauer Betrachung zwischen seinem Federkleid hervor.
Senderstorch löst das Müllrätsel
Woher viele der Gegenstände genau stammen, blieb lange Zeit ein Rätsel. Um den Ursprung von bestimmten, immer wiederkehrenden Teilen herauszufinden, veröffentlichten Annette Jung und Stefan Eisenbarth Annoncen in der örtlichen Presse. Hilfreiche Hinweise darauf, wofür etwa die etwa 50 handflächengroßen, runden Silikonteile mit Noppen ursprünglich gedacht waren, brachte das leider nicht ein. Schließlich war es ein Senderstorch namens Mario, der die Lösung brachte: „Wir haben die GPS-Daten von Mario beobachtet. Er hielt sich immer wieder an einem bestimmten Ort auf“, sagt Annette Jung.

Die GPS-Daten führten sie zu einer Müllsortierungsanlage für gelbe Tonnen und Gewerbemüll. „Ich kam außerhalb der Betriebszeiten an – und sah neben Mario noch 17 weitere Störche. Bei einem Storch mit Ring konnten wir nachweisen, dass er sogar aus zehn Kilometern Entfernung dorthin flog, um nach Nahrung zu suchen.“
Müllhalden: Todbringer oder Lebensraum?
Laut Bernd Petri haben Mülldeponien bedeutend zur erfolgreichen Rückkehr der Störche beigetragen. „Störche sind Nahrungsopportunisten und Deponien bieten ihnen viel Komfort. Hauptsächlich fressen sie sich dort an Fleischresten satt“, sagt Petri. „Gleichzeitig gehen sie daran aber auch immer öfter zu Grunde. Viel Plastik und Gummi wird verschluckt und das ist oft tödlich.“ Das Müllproblem gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern wie Spanien und Marokko, wo die Störche die Winter verbringen.
Hierzulande sei auch die Vermüllung von landwirtschaftlichen Flächen ein Problem, erklärt Petri. „Dort verheddern sich sehr viele Störche, etwa in Bindegarn oder Plastik, das von Folienkulturen wie Spargel oder Erdbeeren stammt.“ Als Brennpunkte nennt er Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Im Oberrheingraben gebe es beinahe täglich verletzte Störche, von Jahr zu Jahr werden es mehr.


Müll wird nicht nur fälschlicherweise an Küken verfüttert, er wird – wie hier zu sehen – auch immer öfter anderweitig verwendet: „Das muss Vlies von einer nahegelegenen Baustelle sein, das er als Baumaterial für seinen Horst nutzen will“, sagt Eisenbarth.
„Im Nest verbaut können Plastikplanen etwa dazu führen, dass Regenwasser sich anstaut und nicht abfließen kann. Die Jungen sitzen im kalten Wasser – und sterben durch Lungenentzündungen“, sagt Bernd Petri.
Aufgrund der Zunahme von Todesfolgen durch Müll wurde vom NABU sogar eigens eine Bundesarbeitsgruppe gegründet, die sich mit dem Problem beschäftigt und nach Lösungen sucht. Annette Jung und Stefan Eisenbarth nehmen als Vertreter*innen aus Baden-Württemberg daran teil.
Der Storch als Warnung
Petri sieht unterdessen positiv in die Zukunft der Störche: Die Population sei auf einem guten Niveau und er ist zuversichtlich, dass sie stabil bleibt. „Allerdings rufen alle Erfolgsgeschichten im Natur- und Artenschutz auch Neider auf den Plan.“ So wird dem Storch als vermeintlichem „Jäger“ mitunter vorgeworfen, zum Rückgang seltener Arten wie dem kürzlich ausgestorbenen Brachvogel oder dem akut bedrohten Kiebitz beizutragen. Dabei ist das Gegenteil der Fall: „Der Storch ist eine Flaggschifffart. Wenn wir ihm helfen, helfen wir vielen anderen“, sagt Bernd Petri.
Als am besten betreute Vogelart in Deutschland zeigen Störche, wo Naturschutz erfolgreich ist. Und – wie im Fall von Senderstorch Mario – eben auch, wo etwas nicht stimmt. Durch hitzige Diskussionen um etwaige Plagen werden laut Petri die eigentlichen Probleme vergessen: Etwa die Trockenlegung von Feuchtgebieten sowie die Intensivlandwirtschaft mit riesigen Monokulturen und damit das Wegbrechen von wichtigen Lebensräumen.
Gerade weil die Störche so beliebt bei den Menschen sind, sehen auch Annette Jung und Stefan Eisenbarth eine Chance, über sie mehr Bewusstsein für den Schutz der Natur zu schaffen. Mitmachen kann jeder – sei es durch das Melden von beringten Störchen oder durch die Förderung von Naturschutzprojekten, die Störchen – und vielen anderen Tieren – zugutekommen. „Man muss wachsam bleiben. Der Bestand hat sich zwar innerhalb von 30 Jahren gut erholt. Doch so schnell kann er auch wieder schrumpfen“, sagt Bernd Petri. „Und das wollen wir natürlich verhindern.“
