Perseiden im August: Lichtverschmutzung trübt das Sternschnuppen-Spektakel

Im August erhellen Tausende Perseiden den Nachthimmel. Doch Sternschnuppen, Sternbilder und Planeten verschwinden immer mehr hinter zunehmender Lichtverschmutzung. Das stört die Astronomie – und hat ernsthafte Folgen für Mensch, Tier und Umwelt.

Ist das noch Dämmerung oder schon Lichtverschmutzung? In diesem Fall erhellt letztere den Horizont, wie ein Blick auf die Uhr deutlich macht. Dunkler wird es dank der Lichtglocke über Reutlingen selbst nach 1 Uhr, der astronomischen Mitternacht, nicht mehr, erklärt Till Credner.

Foto von Marina Weishaupt
Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 14. Aug. 2024, 11:15 MESZ

Es ist 21 Uhr, als die Abenddämmerung und das stetig lauter werdende Zirpen der Grillen die Nacht einläuten. Auf der kleinen Anhöhe inmitten im Biosphärengebiet Schwäbische Alb stehen Zelte, Feldbetten und Teleskope bereit. Jung und Alt aus ganz Süddeutschland, teils sogar aus dem österreichischen Nachbarland, versammeln sich, um den Worten von Till Credner zu lauschen. Der Physiklehrer sowie Mitbegründer des Sternenparks Schwäbische Alb heißt die angereisten Interessierten zum alljährlichen Meteorcamp willkommen, das er gemeinsam mit seinen (teilweise auch ehemaligen) Schülern der Astronomie-AG des Progymnasiums Rosenfeld aus dem Zollernalbkreis veranstaltet.

Anlass für das Meteorcamp ist der Perseidenstrom. Jahr für Jahr kreuzt die Erde in der ersten Augusthälfte die Staubspur des Kometen 109P/Swift-Tuttle und sorgt damit für ein regelrechtes Fest unter Sternenguckern. Rund um den Höhepunkt am 12. August verglühen auch in diesem Jahr stündlich mehrere Dutzend, teils hunderte sichtbare Sternschnuppen und Feuerbälle in der Atmosphäre. Die perfekte Gelegenheit, um Interessierten die Wunder des Universums nahezubringen – und über die Gefährdung des Nachthimmels aufzuklären.

Denn vielen Menschen bleibt das Himmelsspektakel des Sternschnuppenregens trotz guter Wetterverhältnisse verwehrt. Schuld daran: die stetig zunehmende Lichtverschmutzung durch Scheinwerfer, Straßenlaternen oder beleuchtete Werbetafeln. Die immer größer werdenden Lichtglocken trüben nicht nicht nur den Blick in den Himmel, sondern stellen ein zunehmendes Problem für Tiere, Pflanzen und Menschen dar. Ehrenamtliche der Sternenparks wollen aufklären.

Wissen kompakt: Meteorschauer

Fernab vom Dickicht der LEDs: Perseiden beobachten im Sternenpark

Während es sich die Anwesenden aller Altersklassen – vom Säugling bis zu Renter – auf mitgebrachten Klappstühlen oder bereitgestellten Feldbetten gemütlich machen, liegt bereits eine gewisse Spannung und freudige Erwartung in der Luft. Obwohl die untergegangene Sonne noch den Himmel färbt, wird schon staunend durch verschiedene Fernrohre geblickt. Das riesige Teleskop des Sternenparks ist auf den Mond gerichtet, Interessierte staunen über die 60-fach vergrößerte Darstellung der Krater. Später wollen die Siebtklässler den Leuten damit den Saturn zeigen.

BELIEBT

    mehr anzeigen
    Silhouetten der Menschen, die sich im Meteorcamp eingefunden haben.
    Ein junges Mädchen blickt durch ein großes Teleskop um den Mond am Nachthimmel zu beobachten.
    Links: Oben:

    Rund 50 Leute haben sich im Meteorcamp des Sternenparks Schwäbische Alb eingefunden. Mit der abnehmenden Abenddämmerung gewöhnen sich die Augen zunehmend an die Dunkelheit.

    Rechts: Unten:

    Die ersten Sternschnuppen werden freudig erwartet. Bis es soweit ist, können der Mond und der Saturn genauer betrachtet werden.

    bilder von Marina Weishaupt

    Weit nach Sonnenuntergang ist es endlich dunkel – so dunkel wie an nur wenigen Orten in Deutschland. Durch die Abwesenheit von Kunstlicht gewöhnen sich die Augen nach und nach an die Dunkelheit. Alsbald geht ein erstes freudiges Raunen durch die Menge: Die ersten Sternschnuppen werden gesichtet. Eine Freude, die nicht allen Menschen – deutschland- und weltweit – zuteilwird. Ein Blick auf die Lightpollution Map zeigt: Oftmals ist der Nachthimmel schlichtweg zu hell.

    Auch rund um das Meteorcamp erhellt der Lichtsmog von Reutlingen den Himmel im Westen, nach Norden hin der des Großraumes Stuttgart sowie im Osten das leuchtende Ulm. Seit 2018 dokumentiert Antonio Schmusch, ehemaliger Schüler von Credner und Landessieger BW bei Jugend forscht, im Rahmen seines Umweltinformatik-Studiums die Entwicklung der Himmelshelligkeit in der Umgebung mittels eigener Messstation. „Im Vergleich zum natürlichen Nachthimmel ist es hier etwa um den Faktor 2 heller“, sagt Schmusch. Für Deutschland ist dies laut Till Credner ein sehr guter Wert. Rund um die auserkorene Wiese sei die Helligkeit des Himmels in den letzten Jahren konstant geblieben – und die geologischen Gegebenheiten würden das meiste Kunstlicht recht gut abschirmen. In Heilbronn, wo Schmusch ebenfalls misst, sei es hingegen zehnmal heller.

    Dass es derart dunkle Orte wie diesen in Deutschland gibt, ist lange nicht mehr selbstverständlich. Seit Erfindung der Glühbirne vor rund 150 Jahren erlebt die Beleuchtung der Nacht einen regelrechten Boom, der nicht abflacht. Im Gegenteil: Seitdem die energieeffiziente und günstige LED-Technik den Markt für Leuchtmittel dominiert, rückt der ursprüngliche Sicherheitsaspekt der nächtlichen Beleuchtung in den Hintergrund. Gebäudefassaden oder Gärten werden aus ästhetischen Gründen genauso in einem Übermaß beleuchtet wie Rasen- oder Pistenflächen für nächtliche Freizeitaktivitäten. Zudem sind viele der Lampen nicht nur dorthin ausgerichtet, wo sie einen Nutzen haben, sondern leuchten frei nach oben, in den Nachthimmel. Damit sind längst nicht nur dicht besiedelte Gebiete in Lichtsmog gehüllt – einen natürlichen Nachthimmel findet man selbst in den ländlichen Gegenden kaum noch.

    Galerie: Sternschnuppen beobachten im Meteorcamp

    „Licht ist unendlich“: Wachsende Lichtverschmutzung stört Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen

    Das bemerkt auch der Astronom und Physiker Manuel Philipp vom Sternenpark Winklmoosalm immer mehr. Bei seinen Sternenführungen am Alpenrand südlich von München blickt er regelmäßig in den zunehmend helleren Nachthimmel. Und in verblüffte, wenn nicht gar erschrockene Gesichter. „Ich habe viele Besucher aus München, die wegen des dunklen Himmels zu mir auf die Winklmoosalm kommen. Die Leute erleben, dass das viele Licht aus ihrer 100 Kilometer entfernten Heimatstadt bis hierhin leuchtet und die Nacht im Sternenpark erhellt“, sagt Philipp. Ein Anblick, der die Menschen durchaus nachdenklich stimmen würde. Wetterbedingungen mit viel Bewölkung, Luftverunreinigungen oder Saharastaub würden die Situation verschärfen, denn die Luftpartikel streuen und reflektieren das Kunstlicht zusätzlich. Einen wirklich klaren Himmel gab es 2024 nach seinen Beobachtungen kaum, wie ihm bei einer seiner jüngsten Sternführungen am Chiemsee schmerzlich bewusst wurde.

    Und das hat weitreichende Folgen. Für uns Menschen sorgt die Helligkeit bei Nacht für einen Mangel an Melatonin, da das körpereigene Ruhe-Hormon nur bei Dunkelheit gebildet wird. Umgekehrt verbringen immer mehr Menschen arbeitsbedingt zu wenig Zeit in der Helligkeit des Tages. Schlafstörungen führen zu vermehrtem Stress und Aggressivität. Das Risiko für psychische, Krebs- und Herzinfarkterkrankungen sind folglich erhöht. Abgesehen von den Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit, droht mit dem Verlust des dunklen Nachthimmels auch das Abhandenkommen eines Kulturguts. Seit Jahrtausenden nutzen Menschen Sterne sowie Planeten zur Orientierung, sehen in Sternbildern göttliche Gleichnisse oder nutzen die Deutung des Sternenhimmels für die Optimierung der Landwirtschaft. „Ohne die Beobachtung des Sternenhimmels und die tiefe Auseinandersetzung damit hätte sich die Menschheit mit Sicherheit anders entwickelt“, sagt Manuel Philipp.

    Für nachtaktive Falter, Motten und Co. sind Straßen- und Werbebeleuchtung von Frühling bis Herbst wahre Todesfallen. Durchschnittlich 150 Tiere sterben pro Nacht an einer Lampe. Hochgerechnet auf die rund 7 Millionen Straßenlaternen in Deutschland erliegen jede Nacht mehr als eine Milliarde Tiere ihrer Erschöpfung oder verbrennen sogar. Jährlich gehen die Zahlen in die Billionen. Die Folgen sind in Anbetracht des Insektensterbens dramatisch, denn mit ihnen schwindet auch das Nahrungsangebot, etwa für Vögel.

    Einschneidende Veränderungen bringt das nächtliche Licht auch für das Leben von nachtaktiven Raubtieren: etwa zunehmende Probleme bei der Nahrungssuche, gestörte Ruhephasen oder immer weiter eingeschränkte Lebensräume. Milliarden von Zugvögeln verlieren im schlimmsten Fall auf ihren langen Reisen durch die großen Lichtglocken die Orientierung, finden ihre Brutplätze nicht mehr oder verenden ebenfalls an Erschöpfung.

    “Von den mehr als 3.000 Schmetterlingsarten in Deutschland sind über 90 Prozent nachtaktiv. Hält sie das Zuviel an nächtlichem Licht vom Bestäuben ab, ist letztlich das gesamte Ökosystem bedroht. Und damit auch wir Menschen.”

    von Manuel Philipp, Astronom und Physiker

    Zuletzt ist auch die Pflanzenwelt direkt davon betroffen. Neben fehlender Bestäubung durch das Sterben von Insekten wirkt sich die nächtliche Beleuchtung etwa auf die verfrühte Entwicklung von Knospen und Blüten, einen verspäteten Blattabwurf oder eine verschobene Winterruhe aus. Frostschäden und somit Ernteausfälle können die Folge sein. Und selbst die Welt von Unterwasserpflanzen verändert sich durch zunehmende Beleuchtung. Etwa, weil lichtscheue Wassertierchen sich zurückziehen, die einst dafür Sorge trugen, dass das Algenwachstum im Gleichgewicht gehalten wird.

    Angesichts des Wissens über diese weitreichenden Einschneidungen in die Natur sollte man meinen, dass gegen Lichtverschmutzung bereits mit Hochdruck vorgegangen wird. Doch das Gegenteil ist der Fall.

    Paten der Nacht: Der Kampf für das Recht auf Dunkelheit

    Neben dem Bewusstsein dafür, dass das nächtliche Licht etwas mit dem Leben macht, fehlt es vor allem an Regularien für künstliche Beleuchtung, sagt Manuel Philipp: „Wir haben kaum Gesetze, die die Nutzung von Licht eindämmen. Gleichzeitig war Licht noch nie so günstig und effizient wie heute.“ Das möchte der 52-Jährige ändern. Deshalb initiierte er im Jahr 2017 den Sternenpark Winklmoosalm und gründete schließlich 2019 die gemeinnützige Organisation Paten der Nacht. Ihre Mission: Schritt für Schritt gegen den „Beleuchtungswahnsinn“ und Überbeleuchtung vorgehen. Sie plädieren für ein Recht auf Dunkelheit für sämtliche Lebewesen.

    Ein Wunsch, der angesichts der rapiden Entwicklung des Lichtsmogs Manuel Philipps Meinung nach mit Füßen getreten wird. „Es bringt leider wenig, wenn man im Sternenpark vorbildlich mit Licht umgeht, wenn gleichzeitig das Licht der umliegenden Großstädte immer weiter ansteigt und uns hier dann die Nacht erhellt“, sagt Philipp. „Wir haben in Europa mittlerweile sechs Prozent Zunahme pro Jahr, weltweit sogar knapp zehn Prozent.” Die Himmelshelligkeit verdopple sich dementsprechend rund alle acht bis neun Jahre.

    Leuchtender Vollmond, dessen rechte untere Ecke im Dunkeln liegt.

    Hoffnung schöpft der Physiker aus dem zukünftigen Bundesnaturschutzgesetz. Darin würde zumindest das Problem der immer helleren und üppigeren Straßenbeleuchtung endlich bedacht und angegangen werden. Als frustrierend erweist sich hingegen der Blick in die Zukunft der Werbebeleuchtung. LED-Kunstlicht ist günstig und wird dementsprechend überproportional zu seinem Nutzen eingesetzt. Ein Projekt der Paten der Nacht richtet sich deshalb gezielt an Gewerbetreibende. Die Initiative 22 Uhr konnte seit 2022 rund 400 Firmen dazu ermutigen, ihre gesamte sichtbare Werbebeleuchtung ab spätestens 22 Uhr und bis 6 Uhr morgens abzuschalten. So verzichten beispielsweise 15 Münchner Filialen einer Baumarktkette auf nächtliche Reklame – dem Nachthimmel und den nachtaktiven Tieren zuliebe.

    Für das private Umrüsten zuhause liefern die Paten der Nacht umfangreiche Tipps. Des Weiteren motivieren sie insbesondere Gartenbesitzer*innen unter dem Motto „Kein Licht im Garten“ auf sämtliche äußere Lichtquellen rund um das Eigenheim verzichten. Vielen Menschen sei nicht bewusst, wie nutzlos und schädlich die vermeintlich schönen Solarlaternen oder Scheinwerfer tatsächlich sind. Seit dem Start der Aktion im Mai 2024 können Teilnehmende nach einer Spende sowohl auf der Website als auch mit einem eigens dafür designten Schild am Gartenzaun auf ihr persönliches Engagement hinweisen. Wer sich zusätzlich an die Gemeinde oder politische Entscheidungsträger*innen wenden möchte, kann dies mit Hilfe von Musterbriefen des Sternenparks Schwäbische Alb erledigen.

    “Das umweltverträglichste Licht ist das, das gar nicht erst an ist.”

    von Manuel Philipp
    Paten der Nacht

    Das einzig gute am Licht-Problem ist wohl die einfach umzusetzende Lösung: Einfach abschalten. Jeder kann mitmachen und hilft sofort. „Bei anderen schädlichen Verschmutzungen – wie dem in den 80ern verbotene FCKW oder aktuell dem Mikroplastik – bleiben die Nachwirkungen über Jahrzehnte bestehen“, sagt Philipp. Auch deshalb will er weitermachen und den Menschen ein Gefühl dafür vermitteln, wie toll der Sternenhimmel ist – und wie schlimm es ist, dass wir ihn immer mehr verlieren.

    Die Menschen im Meteorcamp auf der Schwäbischen Alb können es in dieser Nacht der Perseiden selbst erleben. Damit sich die Augen an den Nachthimmel gewöhnen können, bittet Till Credner darum, rote anstatt der gängigen weißen Lichtquellen zu nutzen. Und siehe da: Tatsächlich reicht die Beleuchtung durch die Sterne, die Milchstraße und das natürliche Luftleuchten (Airglow) aus, um sich auf der Wiese zu orientieren. Perfekte Bedingungen, um sich bis in die frühen Morgenstunden an zahlreichen, sichtbaren Perseiden zu erfreuen. Ganz getreu dem Motto: Licht aus, Himmel an.

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved