Forscher suchen den nächsten potenziellen Corona-Wirt

Das neue Coronavirus könnte sich unter Umständen in einem neuen tierischen Wirt etablieren – und später erneut die Menschheit infizieren.

Von Anthony King
Veröffentlicht am 9. Apr. 2020, 15:31 MESZ
Java-Hufeisennase

2013 entdeckten Wissenschaftler, dass die Java-Hufeisennase (Rhinolophus affinis) als Zwischenwirt eines Coronavirus fungiert, das SARS-CoV-2 sehr ähnlich ist.

Foto von Fletcher & Baylis, Science Source

Während sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2 weiter über den Globus ausbreitet, sind die Regierungen der Länder damit beschäftigt, die Ausbreitung einzudämmen und die Behandlung der Erkrankten zu gewährleisten. Wissenschaftlern zufolge verdient aber auch eine weitere Thematik unsere Aufmerksamkeit: die Suche nach neuen potenziellen Wirten für das Virus. Laut Experten ist es durchaus möglich, dass SARS-CoV-2 sich in einer neuen Spezies etabliert und in Zukunft wieder Menschen infizieren könnte.

„Während sich das Virus über den Globus verbreitet, könnte es einen völlig neuen Reservoirwirt [außerhalb Chinas] finden“, sagt der Virologe Ralph Baric von der University of North Carolina, Chapel Hill. „Wir wissen das nicht. Das ist etwas, über das jedes Land nachdenken muss, während die Epidemien wieder abflauen.“

Coronaviren sind berüchtigt für ihre Anpassungsfähigkeit. Allein in Fledermäusen lauern Tausende Arten, die keinerlei Symptome in ihren Wirten auslösen. All diese Viren haben das Potenzial, auf neue Spezies überzuspringen. Manchmal mutieren sie dabei, um sich an ihren neuen Wirt anzupassen. Manchmal können sie auch unverändert überspringen.

Coronaviren können Säugetiere und Vögel befallen, darunter auch Hunde, Hühner, Rinder, Schweine, Katzen, Schuppentiere und Fledermäuse. Die aktuelle Corona-Pandemie hatte ihren Ursprung wahrscheinlich in einer Hufeisennasen-Fledermaus in China. Das Virus sprang vermutlich von der Fledermaus auf einen anderen Wirt und von dort schließlich auf einen Menschen über.

Derzeit arbeiten Virologen an Voraussagen darüber, welche Spezies die wahrscheinlichsten Reservoirwirte sein könnten. Das Risiko, dass das Virus sich in einer neuen Art etabliert – dort eine Weile unbemerkt verbleibt und schließlich wieder auf Menschen überspringt –, sei gering, sagt Linfa Wang, ein Virologe des Duke Global Health Institute in Singapur. Trotzdem lohne es sich, sich auf dieses Szenario vorzubereiten, findet Baric – denn die Folge könnte eine zweite Pandemiewelle sein.

Voraussetzungen für geeignete Wirte

Wir wissen aus Erfahrung bereits, dass sich einige Haustiere mit dem Virus infizieren können, das COVID-19 verursacht. In Hongkong machten ein Spitz und ein Deutscher Schäferhund Schlagzeilen, als sie sich das Virus zuzogen. Auch eine Hauskatze in Belgien wurde infiziert. Am 5. April wurde außerdem ein Malaysia-Tiger im Bronx Zoo positiv auf SARS-CoV-2 getestet.

Die Forscher interessieren sich derzeit für jedes Tier, das sich potenziell mit dem Virus infizieren könnte – ob es nun Symptome auslöst oder nicht. Laut dem US-Landwirtschaftsministerium und dem CDC gebe es derzeit zwar keine Hinweise darauf, dass Wildtiere in menschlicher Obhut oder Haustiere das Virus auf Menschen übertragen können, aber dennoch ist es wichtig zu wissen, ob so etwas möglich ist.

Ein Steppenschuppentier in einem Rehabilitationszentrum in Simbabwe trinkt aus einer Pfütze. Es gibt mehrere Coronaviren, die Schuppentiere befallen können. Das in Südostasien heimische Malaien-Schuppentier kann als Wirt eines Virenstamms dienen, der genetisch zu 92,4 Prozent identisch mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ist.

Foto von Brent Stirton, Getty, National Geographic

Eine Möglichkeit, um potenzielle Wirte ausfindig zu machen, sind 3D-Computermodelle. Damit ein Virus in eine Zelle eindringen und sich replizieren kann, muss eines seiner stachelförmigen Proteine an den Enzymrezeptor auf der Oberfläche einer Zelle des Wirtes andocken. Dieser Rezeptor, ACE2 genannt (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2), ist gewissermaßen das Schloss zur Zelle. Das stachlige Protein des Virus fungiert als Schlüssel. Mithilfe dreidimensionaler Computermodelle lässt sich herausfinden, welche Tiere ACE2s haben, die von dem Virusprotein „aufgeschlossen“ werden können.

Durch den Vergleich von ACE2-Rezeptoren konnten Forscher im Rahmen einer Studie vom März 2020 eine Reihe von Tierarten ausfindig machen, die das Virus womöglich infizieren könnte. Unter ihnen befinden sich Schuppentiere, Katzen, Hausrinder, Büffel, Ziegen, Schafe, Tauben, Zibets und Schweine.

Galerie: Faszinierende Flatterer: Flughunde & Fledermäuse

Wissenschaftler haben aber noch eine weitere Möglichkeit, um nach potenziellen Wirten zu suchen: Sie setzen Zellen verschiedener Tierarten dem Virus aus und überprüfen dann, welche Zellen tatsächlich infiziert wurden. Genau das tut das Labor von Baric und konzentriert sich dabei auf Tiere in den USA, darunter auch Nutztiere. In einem aktuellen Experiment konnten Zellen mit ACE2-Proteinen von Menschen, Hufeisennasen, Zibets und Schweinen mit dem Coronavirus infiziert werden. Mäusezellen konnte das Virus hingegen nicht befallen.

Sobald klar ist, welche Zellen im Labor befallen werden können, müssen unter kontrollierten Bedingungen Tests an lebenden Tieren durchgeführt werden, sagt Baric. Zu diesem Zweck führt das Friedrich-Loeffler-Institut – das deutsche Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit – derzeit Tests an Schweinen, Hühnern, Flughunden und Frettchen durch. So soll herausgefunden werden, ob das Virus die Tierarten befallen und sich in ihren replizieren kann. Falls dem so ist, würden die Tiere als potenzielle Reservoirwirte gelten. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Frettchen und Flughunde anfällig für das Virus sind, Schweine und Hühner hingegen nicht.

In Columbia in South Carolina werden noch alte Zuchtformen von Hausschweinen gehalten. Schweine gelten als eine von mehreren Tierarten, die ein künftiger Wirt für das neue Coronavirus sein könnten.

Foto von Vincent J. Musi, Nat Geo Image Collection

Eine ähnliche Studie, zu der im April erste, vorläufige Ergebnisse erschienen, zeigte, dass sich das Virus in Hunden, Schweinen, Hühnern und Enten nur schlecht vermehrt. Gute Wirte scheinen hingegen Frettchen und Katzen zu sein, wobei Katzen das Virus auch durch Tröpfchen verbreiten. Wang merkt allerdings an, dass es sich um eine Laborstudie handelte – die Ergebnisse lassen sich außerhalb des Labors also nicht zwangsweise replizieren.

Genauso wichtig sei es laut Baric, Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu testen. „Coronaviren wechseln ihre Wirte regelmäßig“, sagt er. „Schlussendlich muss man rausgehen und Wildtiere testen.“ Solche Tests sind laut Wang allerdings äußerst schwierig. Derzeit konzentrieren sich Wildtierstudien vor allem darauf, Arten zu finden, die das Virus aktuell verbreiten – und weniger darauf, Arten zu finden, die das in Zukunft tun könnten.

Übertragung von Mensch auf Tier

Von den Tierarten, die anfällig für das Virus sind, infizieren sich wahrscheinlich jene am ehesten, die die meiste Zeit in der Nähe von Menschen verbringen, sagt der Krankheitsökologe Peter Daszak, der Präsident der EcoHealth Alliance. Daszak war Teil eines Beobachtungsteams, das 2017 vor mehreren SARS-ähnlichen Erregern in einer Fledermaushöhle im Süden Chinas warnte. Je mehr Zeit solche Tiere mit Menschen verbringen, desto mehr Gelegenheit hat das Virus, von Menschen auf Tiere überzuspringen, sagt er.

Selbst, wenn das Virus den Sprung auf eine neue Art schaffen sollte, heißt das nicht mit Sicherheit, dass es dort auch verbleiben und sich replizieren wird, sagen Virologen. Es gibt viele Faktoren, die genau stimmen müssen, damit ein Tier nicht nur als Wirt fungieren kann, sondern das Virus infolgedessen auch wieder auf Menschen übertragen kann.

Wenn herauskommt, dass das Virus ein Nutztier infizieren kann, könnte es zu schweren Krankheitsausbrüchen und Todesfällen im Tierbestand kommen. Genauso gut könnten die Tiere auch unspezifische Symptome wie Durchfall aufweisen, die eher mit anderen Krankheiten assoziiert werden. Oder es löst überhaupt keine Symptome aus. Dann könnte es unerkannt zirkulieren und vielleicht nie zurück auf Menschen springen – oder binnen einiger Monate doch genau das tun und eine erneute Epidemie auslösen.

Der beste Ansatz für die Überwachung solcher Entwicklungen liegt Daszak zufolge in strategischen Tests von Schlüsselspezies. Dabei soll nach Antikörpern des Virus gesucht werden – ein Zeichen dafür, dass ein Tier das Virus erfolgreich bekämpft hat. Der Immunologe Luke O’Neill vom Trinity College im irischen Dublin betont, dass Antikörpertests einfach in der Anwendung und billig seien. „Das ist wie ein Schwangerschaftstest“, sagt er. „Ein Tropfen Blut und man sieht binnen Minuten, ob Antikörper vorhanden sind oder nicht.“

Es bestehe ohnehin nur „eine geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Virus von einem kranken Menschen auf ein Tier überspringt“, sagt Daszak. Dann wiederum, so überlegt er, „war die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Virus überhaupt entsteht, auch gering.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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