mRNA-Impfstoff gegen Coronavirus: Erste Tests am Menschen bestanden
Der Impfstoffkandidat ist in die zweite Phase der klinischen Tests eingetreten. Anders als traditionelle Impfstoffe bringen mRNA-Präparate aber ihre ganz eigenen Vorteile und Herausforderungen mit sich.
Die Oberfläche von SARS-CoV-2 ist mit Proteinen (rot) gespickt. Modernas mRNA-Impfstoff soll dem Körper beibringen, diese Proteine zu erkennen, damit er neutralisierende Antikörper (weiß) herstellen kann. Damit ließe sich das Coronavirus bekämpfen, bevor es zu einer körperweiten Infektion kommt.
Ein vielversprechender Kandidat für einen Coronavirus-Impfstoff hat eine große Hürde genommen und ist in die zweite Phase der klinischen Tests eingetreten. Das Unternehmen Moderna Therapeutics signalisiert damit, dass sein mRNA-Impfstoff erste Sicherheitstest gemeistert hat – ein wichtiger Schritt auf dem Weg, das Medikament in Zukunft vielleicht den Märkten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Seit fast fünf Monaten fordert die Pandemie weltweit Todesopfer. Nationale Wirtschaften mussten heruntergefahren werden. Die Menschen harren auf einen Hoffnungsschimmer, der die Rückkehr zur Normalität verheißt. Das erklärt zumindest teilweise die Begeisterung über die Ergebnisse von Moderna und ihren Impfstoff-Favoriten. Binnen rekordverdächtigen 63 Tagen hat das Medikament den Weg vom Labor der Firma in Cambridge (Massachusetts) zu Versuchen am Menschen zurückgelegt.
Am 18. Mai hatte das Biotechnologie-Unternehmen vorläufige Ergebnisse veröffentlicht. Denen zufolge hatten gesunde Testsubjekte auf den mRNA-Impfstoff reagiert, indem sie „neutralisierende Antikörper“ produzierten. Antikörper sind Proteine, die das Immunsystem herstellt, um in Zukunft spezifische Infektionen zu verhindern.
Experten verwiesen sofort darauf, dass die positiven Ergebnisse nur bei 8 der 45 Probanden des Versuchs auftraten, der vom U.S. National Institute of Allergy and Infectious Diseases durchgeführt wird. Das Unternehmen hat bisher nicht genügend Informationen veröffentlicht, um daraus zu schließen, ob die Subjekte der ersten Phase eine schützende Immunreaktion zeigten. Den meisten Immunologen zufolge würde das aber mehr umfassen als nur die Bildung von Antikörpern.
Die von Moderna veröffentlichten Details deuten zusammen mit der jüngsten Mitteilung jedoch darauf hin, dass dem Unternehmen etwas bislang Einzigartiges gelingen könnte: die Lizenzierung des ersten mRNA-Impfstoffs für die menschliche Nutzung.
Der Pharmazeut Michael Witte (links) verabreicht der Probandin Rebecca Sirull am 16. März 2020 eine Impfstoffdosis im Rahmen der ersten Phase einer klinischen Impfstoffstudie. Sirull war die dritte Patientin der Studie, der am Kaiser Permanente Washington Health Research Institute in Seattle eine Dosis verabreicht wurde. Das Institut ist eine von drei Einrichtungen, die sich an der ersten Phase beteiligten.
„Die Ergebnisse sind spannend, weil ihre Daten aus der ersten Phase zeigen, dass der Impfstoff ungefährlich ist, was schon mal ein großer Schritt ist“, sagt Ali Salem. Der Medikamentenentwickler und Professor am College of Pharmacy der University of Iowa war an den Versuchen von Moderna nicht beteiligt.
In der zweiten Phase wird Moderna den Impfstoff an schätzungsweise 600 Probanden aus acht Bundesstaaten testen. Die Testinstitute begannen in der Vorwoche mit dem Probanden-Screening, die Tests an körperlich geeigneten Kandidaten begannen bereits am 1. Mai: Moderna bestätigte, dass den ersten Teilnehmern in beiden Altersgruppen – Erwachsene unter und über 55 Jahren – Impfstoffdosen verabreicht wurden.
„Unsere Studienleiter würden ohne Zögern sagen, dass es die wichtigsten Studien sind, die sie je durchgeführt haben“, sagt Jaime Farra. Er ist der Marketing Director für die Alliance for Multispecialty Research, die ein Testlabor im Ort Newton in Kansas betreibt.
Die Entstehung von mRNA-Impfstoffen
Wenn ein Krankheitserreger in den Körper eindringt, macht sich unser Immunsystem ans Werk, um den Erreger zu identifizieren und eine Abwehrreaktion einzuleiten. Herkömmliche Impfstoffe machen sich diese Reaktion zunutze: Sie bringen vollständige, aber inaktive Viren oder deren Proteine in den Körper ein, um eine Immunreaktion zu provozieren, sodass Antikörper gebildet werden. Die Entwicklung solcher Impfstoffe benötigt jedoch viel Zeit – auch deshalb, weil Forscher den Erreger bzw. dessen Proteine züchten und „deaktivieren“ müssen.
Sogenannte mRNA (engl. für messenger RNA, also „Boten-RNA“) ist genetisches Material, das aus Nukleotidsäuren besteht und Informationen für den Aufbau von Proteinen in Zellen enthält. Anfang der 1990er fragten sich Forscher, was wohl geschehen würde, wenn sie Teile viraler DNA und mRNA herstellten und beides in menschliche Zellkulturen oder Labortiere injizieren würden. Sie hofften, dass die Zellen die Genschnipsel absorbieren und virale Proteine herstellen würden, was wiederum eine Immunreaktion auf den Plan rufen würde.
Theoretisch würde diese Methoden Wissenschaftlern ermöglichen, Impfstoffe schneller herzustellen. Statt Wochen könnte ein geeigneter Kandidat binnen Stunden oder Tagen testbereit sein. Diese Impfstoffkandidaten wären außerdem flexibler und beständiger gegen Erreger, die sich gern durch Mutation verändern, beispielsweise Coronaviren, Influenza und HIV. Schlussendlich könnte damit sogar ein Universalimpfstoff entwickelt werden, der gegen mehrere Stämme eines Virus wirkt, sagt Margaret Liu, die Vorsitzende der Kommission der International Society of Vaccines.
Vor 30 Jahren gehörte Liu der ersten Welle von Forschern an, die versuchten, DNA und mRNA-Impfstoffe nutzbar zu machen. Ihre vorläufigen Ergebnisse mit einem universellen DNA-Impfstoff gegen Influenza waren die ersten, bei denen eine Schutzfunktion nachgewiesen werden konnte. Sie sahen vielversprechend aus – zumindest bei Mäuseversuchen. In den frühen Tagen der DNA- und mRNA-Impfstoffe gab es wiederholt Erfolge mit Tiermodellen, also „vorklinischen Studien“. Keines der Mittel erwies sich am Menschen jedoch als ausreichend wirkungsvoll.
„Die Leute dachten, es müsse daran liegen, dass Menschen einfach größer sind“, sagt Liu. Aber diese Hypothese erübrigte sich, nachdem erfolgreiche DNA-Impfstoffe für Pferde, Fische und Kalifornische Kondore entwickelt wurden.
Derweil hatte die Forscher Probleme damit, mRNA-Impfstoffen die nötige Stabilität zu verleihen. Sobald sie einmal im Körper ist, zersetzt sich mRNA aus Impfstoffen schneller als DNA, was die Wirksamkeit des Impfstoffs mindert. Außerdem kann mRNA Immunzellen reizen und dadurch ebenfalls ungünstige Reaktionen hervorrufen. Jahrelang haben mRNA-Impfstoffe durch diese Probleme ein Schattendasein geführt, während sich DNA-Impfstoffe auf die Veterinärmedizin beschränkten.
Die Wende kam mit Zika
Das änderte sich erst 2005, als es Wissenschaftlern der University of Pennsylvania gelangt, mRNA-Impfstoffe chemisch leicht zu verändern. Durch diese Anpassungen wurden sie stabiler und sicherer, weil sie weniger ungewollte Immunreaktionen hervorriefen.
„Die Leute begannen, mRNA als Therapeutikum für eine ganze Reihe von Krankheiten zu betrachten“, erzählt Salem von der University of Iowa. Eines der Unternehmen, die sich diesem Ziel widmeten, war „ModeRNA Therapeutics“, heute bekannt als Moderna. Es wurde 2010 gegründet, nachdem der Harvard-Wissenschaftler Derrick Rossi Stammzellen mit Hilfe modifizierter mRNA umprogrammierte, um kardiovaskuläre Krankheiten zu behandeln.
Im Laufe der Jahre nutzte das Unternehmen zunehmend ein beliebtes Werkzeug für die Verabreichung von Medikamenten: Lipid-Nanopartikel. Wenn das genetische Material in eine Hülle aus Lipiden gepackt wurde, konnten diese Partikel die mRNA besser in die Zellen eischleusen, wo sie sich an die Arbeit machen konnte. Mit sicherer mRNA-Technologie und besseren Verabreichungsmethoden konnte das Unternehmen sein Portfolio erweitern: Es forschte nun auch an Medikamenten gegen Krebs und eine Reihe von Infektionskrankheiten wie Grippe. Die große Wende kam allerdings mit dem durch Stechmücken übertragenen Zikavirus.
Nach dem Auftreten von Zika im Jahr 2015 machten sich Labore auf die fieberhafte Suche nach einem wirksamen Impfstoff. Justin Richner, mittlerweile ein Assistenzprofessor an der University of Illinois in Chicago, war Teil eines Projekts mehrerer Universitäten, die mit von Moderna Therapeutics entwickelten mRNA-Impfstoffkandidaten experimentierten. Richner zufolge verfeinerte das Team die mRNA-Codes, wodurch einer von Modernas Zika-Impfstoffen 2016 in die klinische Testphase gehen konnte. Aber dort endeten die Fortschritte.
Sicherheit geht vor
Moderna Therapeutics reagierte nicht auf Interviewanfragen von National Geographic. Aber die Updates des Unternehmens, die nicht von Fachkollegen geprüft sind, können Hinweise auf ihren Fortschritt mit einem möglichen COVID-19-Impfstoff liefern. Modernas Ankündigung vom 18. Mai lieferte zwar keine Daten darüber, wie viele Antikörper in Mäusen und Menschen nach der Immunisierung vorhanden waren. Aber sie offenbarte, dass die erste Testphase ihr Hauptziel anscheinend erreicht hat: die Feststellung der sichersten Impfstoffdosis.
„Wenn man die erste klinische Studie an Menschen durchführt, ist das Wichtigste, das es daraus zu lernen gilt, ob der Impfstoff sicher ist“, sagt Maria Elena Bottazzi. Sie ist die stellvertretende Dekanin der National School of Tropical Medicine am Baylor College of Medicine und war an den Impfstofftests von Moderna nicht beteiligt.
Ihr zufolge gäbe es noch ein besseres Indiz für den Erfolg von Moderna, das bis jetzt aber noch nicht in den Statements des Unternehmens erwähnt wurde: T-Zellen. Antikörper sind nur ein Teil einer Immunreaktion. T-Zellen sind ein weiterer. Beide können für sich allein dauerhaften Schutz bieten, aber T-Zellen helfen bei der Entstehung von Antikörpern. Das ist insofern wichtig, als DNA- und mRNA-Impfstoffe sich besser dazu eignen, T-Zellen zu triggern, sagt Bottazzi. Aber die Nutzbarmachung einer solchen Reaktion ist arbeitsintensiv und wird für gewöhnlich erst in späteren Phasen der Versuche am Menschen behandelt.
Einem möglichen Impfstoff von Moderna steht vermutlich noch ein langer Weg bevor. Die Probanden der zweiten Phase sollen mindestens 15 Monate lang beobachtet werden. Wenn sie aber schon früh vielversprechende Ergebnisse zeigen, könnten die Impfstoffkandidaten noch dieses Jahr in die letzten Testphasen übergehen.
Unabhängig davon, ob Moderna Erfolg haben wird, werden wohl mehrere Impfstoffe nötig sein, um die Pandemie zu besiegen. Weltweit sind mehr als 100 Versuche mit Impfstoffkandidaten für COVID-19 am Laufen. Bisher berichten mehrere Unternehmen von vielversprechenden und durch Fachkollegen geprüften Ergebnissen. Eine Vielzahl an Kandidaten ist am Ende ein Vorteil: Wenn einer von ihnen sich als unpassend herausstellt, bleibt noch die Hoffnung auf die anderen Kandidaten, so Bottazzi.
Diese menschliche Zelle (grünlich-braun) ist stark mit SARS-CoV-2 (pink) befallen und wurde aus einem menschlichen Patienten isoliert. Das Bild wurde in der NIAID Integrated Research Facility in Fort Detrick in Maryland aufgenommen und farbverstärkt. Ein Impfstoff würde verhindern, dass sich das Virus repliziert und weitere Zellen übernimmt.
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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