Social Distancing im Tierreich

Einige Tierarten wie Schimpansen und Honigbienen kennen kein Pardon, wenn es darum geht, die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern.

Von Sydney Combs
Veröffentlicht am 25. März 2020, 15:06 MEZ
Schimpansen greifen mitunter Artgenossen an, die sichtbar krank sind, und vertreiben sie aus ihrer Gruppe.
Schimpansen greifen mitunter Artgenossen an, die sichtbar krank sind, und vertreiben sie aus ihrer Gruppe.
Foto von Michael Nichols, Nat Geo Image Collection

In vielen Ländern, die von der Pandemie besonders stark betroffen sind, arrangieren sich die Menschen derzeit mit ihrem neuen Alltag, der vor allem vom Social Distancing geprägt ist. Ob beim Spazieren gehen, Einkaufen oder Spielen im Park: Abstand halten ist das Motto.

Dabei ist das Konzept weder neu noch einzigartig, was nicht überrascht in einer Welt, in der Infektionskrankheiten weit verbreitet sind. Auch diverse Tierarten, die einen sehr sozialen Lebensstil pflegen, stoßen Mitglieder ihrer eigenen Gruppe aus, wenn diese sich einen Krankheitserreger eingefangen haben.

Das kann eine Herausforderung sein, da infizierte Tiere nicht immer „einfach zu erkennen sind“, erklärt Joseph Kiesecker, ein Chefwissenschaftler der Nature Conservancy.

Mit spezialisierten Sinnen können Tiere aber gewisse Krankheiten entdecken – manchmal sogar, bevor die ersten sichtbaren Symptome auftauchen. Dann passen sie ihr Verhalten entsprechend an, um sich nicht anzustecken.

Honigbienen und Schimpansen kennen mitunter keine Gnade, wenn es darum geht, kranke Artgenossen auszustoßen.

Die Amerikanische Faulbrut ist eine bakterielle Krankheit, die die Larven von Honigbienen befällt und sie zu einem braunen, zähflüssigen Schleim auflöst. „Daher kommt auch der Name, von diesem klebrigen, braunen Zeug. Das riecht furchtbar faulig“, erklärt Alison McAfee, eine Forscherin am Institut für Entomologie und Pflanzenpathologie und der North Carolina State University.

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    Die infizierten Larven sondern verräterische Chemikalien ab, die die älteren Bienen riechen können – darunter auch β-Ocimen, dass laut McAfees Forschungen eine Art Bienenpheromon ist. Sobald die Bienen die infizierten Mitglieder ihres Stocks ausfindig gemacht haben, schmeißen sie sie hinaus, erklärt die Forscherin.

    Da diese evolutionäre Anpassung die Gesundheit des Bienenstocks schützt, züchten Imker und Forscher seit Jahrzehnten selektiv auf dieses Merkmal.

    Kein großer Unterschied zu Menschen

    Als Jane Goodall 1966 im Gombe-Stream-Nationalpark Schimpansen erforschte, beobachtete sie auch ein Individuum, das sie McGregor getauft hatte. Durch ein hochansteckendes Virus hatte er sich Polio zugezogen.

    Seine Artgenossen griffen ihn an und vertrieben ihn aus ihrer Gemeinschaft. Einmal näherte sich das partiell gelähmte Tier einer Gruppe von Schimpansen, die in einem Baum saßen und Fellpflege betrieben. Der einsame McGregor, der sich nach Sozialkontakt sehnte, streckte zur Begrüßung eine Hand aus. Aber die anderen Affen entfernten sich von ihm, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

    „Ganze zwei Minuten lang saß der alte [McGregor] regungslos da und blickte ihnen nach“, schrieb Goodall in ihrem 1971 publizierten Buch „Wilde Schimpansen“ (Orig.: „In the Shadow of Man“).

    Galerie: Jane Goodall: Der gute Geist von Gombe

    „Das unterscheidet sich tatsächlich gar nicht so sehr davon, wie einige der heutigen Gesellschaften auf so eine Tragödie reagieren“, erzählte sie 1985 in einem Interview mit der „Sun Sentinel“.

    Goodall dokumentierte noch andere Vorfälle, bei denen an Polio erkrankte Schimpansen ausgestoßen wurden. In einigen Fällen durften sich die infizierten Tiere nach einiger Zeit wieder der Gruppe anschließen.

    Genau wie Menschen sind auch Schimpansen sehr visuelle Tiere. Einige Forschungen deuten darauf hin, dass das intuitive Stigma einer Polioinfektion auf Angst und Ekel zurückgeht, die durch die körperliche Entstellung ausgelöst werden. Beides gehört zur Strategie, um eine Ansteckung mit dieser Krankheit zu vermeiden.

    Mehr als nur Zufall

    Allerdings gehen nicht alle Tiere so aggressiv gegen ihre kranken Artgenossen vor. Manchmal meiden sie einfach nur den Kontakt zu Infizierten.

    Bevor Kiesecker in den späten Neunzigern damit begann, die Kaulquappen des Nordamerikanischen Ochsenfroschs zu erforschen, gingen Modelle zur Krankheitsverbreitung in Wildtierpopulationen davon aus, dass der Kontakt zu infizierten Individuen zufällig sei.

    Demzufolge hätte jedes Mitglied einer Population die gleiche Chance, sich anzustecken.

    „Die Tiere sind aber eindeutig schlauer“, so Kiesecker.

    Im Zuge seiner Experimente fand er heraus, dass Kaulquappen nicht nur tödliche Hefeinfektionen bei Artgenossen erkennen können, sondern den Kontakt zu kranken Kaulquappen auch vermeiden. Ähnlich wie Honigbienen nutzen auch sie chemische Signale, um herauszufinden, welche ihre Artgenossen krank sind.

    Auch Karibik-Langusten meiden kranke Artgenossen – und zwar schon lange, bevor sie ansteckend werden.

    Für gewöhnlich dauert es etwa acht Wochen, bis Hummer, die sich mit dem tödlichen Virus Panulirus argus infiziert haben, diesen selbst verbreiten können. Die eigentlich sehr sozialen Tiere beginnen aber teils schon vier Wochen nach der Infektion damit, ihre kranken Artgenossen zu meiden, die bereits verräterische chemische Stoffe ausscheiden.sters could smell certain chemicals released by sick individuals.

    Die Wahl des richtigen Partners

    Wenn es um die Fortpflanzung geht, legen viele Tiere großen Wert auf die Wahl eines gesunden Partners.

    Weibliche Hausmäuse haben einen guten Riecher für die Partnerwahl. Indem sie am Urin eines Männchens schnüffeln, können sie herausfinden, ob es mit Parasiten infiziert ist. In diesem Fall sucht sich das Weibchen dann lieber einen gesunden Partner, wie Forscher von der University of Western Ontario herausfanden.

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    Männliche Guppys müssen eine ähnliche Prozedur über sich ergehen lassen, denn auch Fischweibchen bevorzugen parasitenfreie Partner: Eine Kombination aus visuellen Merkmalen einer Infektion – beispielsweise verkrampfte Flossen und eine blasse Färbung – und Chemikalien, die von der infizierten Haut ausgeschüttet werden, verraten die kranken Männchen.

    Kiesecker betont dabei, dass kranke Tiere im Gegensatz zu uns nicht begreifen, „dass sie die Übertragungsrate senken, wenn sie zu Hause bleiben“.

    „Wir Menschen haben diese Fähigkeit. Und das ist ein großer Unterschied.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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