Die Antarktis ist der letzte coronafreie Kontinent. Forscher wollen, dass das so bleibt

Antarktische Forschung ist für den Kampf gegen den Klimawandel unverzichtbar. Zum Schutz ihrer Gesundheit müssen viele Forscher nun aber Abstriche machen.

Von Di Minardi
Veröffentlicht am 13. Aug. 2020, 14:13 MESZ
Eselspinguin und Forscher

Forschungspersonal sitzt in der Nähe einer Kolonie von Eselspinguinen an einem alten Schuppen der Station.

Foto von Ronan Donovan, Nat Geo Image Collection

Die geschäftige Sommersaison in der Antarktis beginnt im Oktober und dauert bis in den Februar hinein. Dann strömen für gewöhnlich Tausende von Wissenschaftlern aus Dutzenden von Ländern in die entlegenen Forschungsstationen des Kontinents. Vierzig permanente Stützpunkte liegen in der trostlosen Landschaft – eine Zahl, die sich fast verdoppelt, wenn die saisonalen Sommereinrichtungen ihren Betrieb wiederaufnehmen. In diesem Jahr wird der Weg in dieses eisige Wissenschaftsgebiet jedoch von einer ganz bestimmten Sorge begleitet: Wie kann die Antarktis der einzige Kontinent ohne einen einzigen gemeldeten Fall von COVID-19 bleiben?

Die medizinische Versorgung in den Forschungsstationen ist begrenzt. In den wohnheimähnlichen Einrichtungen können sich Krankheiten leicht ausbreiten. Während einer Pandemie kann das Ausbruchsrisiko gemindert werden, indem die Zahl der Wissenschaftler auf dem Kontinent eingeschränkt wird – allerdings wird dadurch auch wichtige Forschung behindert.

“Wir können es uns nicht leisten, ein Jahr zu warten.”

von Nancy Bertler, Antarctic Science Platform

Wissenschaftler, die in der Antarktis arbeiten, erforschen die Sterne mit Teleskopen, suchen nach Elementarteilchen und studieren einige der bemerkenswertesten Tiere der Welt. Der abgelegene Kontinent ist auch entscheidend, um die Veränderungen auf unserem gesamten Planeten zu verstehen. Klimawissenschaftler untersuchen Bläschen mit uralter Luft, die im Eis eingeschlossen sind, um mehr über die Geschichte der Erde zu erfahren. Und sie beobachten den schmelzenden Eisschild und die steigenden Temperaturen im Südpolarmeer, um die mögliche Zukunft des Planeten vorherzusagen.

Aber die meisten dieser Wissenschaftler werden ihre Arbeit in dieser Saison jenseits des Kontinents durchführen müssen. Dabei müssen sie sich auf ferngesteuerte Sensoren und die großen Mengen an Daten und Proben verlassen, die in den vergangenen Jahren gesammelt wurden.

Forschung in lebensfeindlicher Umgebung

„Das quält einen wirklich“, sagt Nancy Bertler, die Direktorin der Antarctic Science Platform in Neuseeland. „Wir haben nur noch wenige Jahre Zeit, um einige sehr bedeutende Veränderungen vorzunehmen und die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden. Wir können es uns nicht leisten, ein Jahr zu warten.“

Die antarktische Umwelt ist so extrem, dass Dirk Welsford, leitender Wissenschaftler des Australian Antarctic Program, sie mit dem Weltraum vergleicht. Und das ist gar nicht so weit hergeholt: Die Internationale Raumstation befindet sich 355 Kilometer über der Erde, während die abgelegenste Basis in der Antarktis – die französisch-italienische Forschungseinrichtung Concordia – etwa 560 Kilometer von ihrem nächsten Nachbarn und über 960 Kilometer von der nächsten Versorgungsquelle an der Küste entfernt ist.

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    Die meisten antarktischen Stützpunkte liegen eher an der ausgedehnten Küstenlinie als im Landesinneren wie Concordia, aber selbst diese sind schwer zu erreichen. Wissenschaftler reisen mit Flugzeugen und Schiffen an, die so oft durch extremes Wetter aufgehalten werden, dass das Antarktisprogramm der Vereinigten Staaten einen Abschnitt mit dem Titel „Seien Sie geduldig“ in seinem Leitfaden stehen hat.

    In diesem Jahr wird Geduld allein nicht ausreichen. „Für alle Nationen, die in der Antarktis arbeiten, ist es das Hauptziel, das Virus vom Eis fernzuhalten“, sagt Christine Wesche, die Logistik-Koordinatorin des deutschen Antarktisprogramms. Aber wie genau dieses Ziel erreicht werden soll, muss ständig neu überdacht werden.

    Der Rat der Leiter der nationalen Antarktisprogramme (COMNAP) und seine 30 Mitglieder koordinieren einen erheblichen Personalabbau. Alle Programme werden ihre Teams reduzieren – Australien und Deutschland um 50 Prozent, Neuseeland um 66 Prozent. Die Vereinigten Staaten haben ihre angepasste Teamgröße nicht mitgeteilt, doch jüngsten Pressemitteilungen zufolge ist die Zahl der Personen, die sie ohne Sicherheitsbedenken einsetzen können, „begrenzt“.

    Kleine Teams, strenge Kontrollen

    Durch die Verkleinerung der Teams können die Programme besser ein strenges Quarantäne- und Testregime gewährleisten, da Tests kostspielig sein können und es Zeit braucht, bis Ergebnisse vorliegen. Die Personenbegrenzung auf den Stationen trägt auch dazu bei, dass weniger Menschen dem Virus ausgesetzt sind, wenn eine Infektion beispielsweise durch ein falsches Testergebnis auf den Kontinent gelangt.

    Eine Handvoll Städte auf der südlichen Hemisphäre sind entscheidende Wegpunkte auf dem Weg in die Antarktis. Das deutsche Team fliegt in der Regel über Kapstadt in Südafrika – ein Land, das mehr als eine halbe Million Fälle von Coronavirusinfektionen gemeldet hat. Wegen der Unsicherheit bei internationalen Flügen durch diesen Hotspot muss das deutsche Team stattdessen möglicherweise mit seinem Versorgungsschiff Polarstern reisen.

    Auf dem Kajak zwischen Pinguinen in der Antarktis

    Die Vereinigten Staaten werden nach wie vor über Christchurch in Neuseeland fliegen. Dort absolvieren die Forscher regelmäßig ein Training und werden mit Ausrüstung für kaltes Wetter ausgestattet, bevor sie mit dem neuseeländischen Team zu den Stationen McMurdo und Scott weiterfliegen. Die beiden Länder arbeiten an einer Quarantäne- und Teststrategie, um Christchurch COVID-19-frei zu halten, während die USA durchreisen.

    Sobald die Teams in der Antarktis ankommen, wird das Leben so aussehen wie vor der Pandemie. Neuankömmlinge können getestet oder zum Social Distancing angehalten werden. Aber diese Vorkehrungen werden nicht monatelang aufrechterhalten. Alle Menschen auf dem Kontinent gelten als virusfrei, sofern sie keine Krankheitssymptome aufweisen. In einem solche Fall werden sie isoliert, getestet und bei positivem Befund evakuiert. Ein COVID-19-Ausbruch wäre in der Wintersaison besonders gefährlich. Dann würden schwere Polarstürme es nahezu unmöglich machen, Patienten gefahrlos über die Luft zu evakuieren.

    Die Stationen brauchen Wartung

    Die Antarktisprogramme rechnen jedes Jahr mit einer gewissen Störung durch Stürme, Meereis und mechanische Probleme. Aber bislang haben sie nie in einem solchen Ausmaß Projekte abgesagt. Die meisten internationalen Kollaborationen, neuen Experimente und Feldforschungen wie das Markieren von Pinguinen und das Sammeln von Proben wurden pausiert. Die Programmmanager erklären jedoch, dass sie ihre Forschungssaison nicht vollständig absagen können.

    Die Antarktis ist der kälteste, trockenste und windigste Kontinent der Erde. Der Polarforscher Sir Douglas Mawson nannte die Antarktis ein „verfluchtes Land“, während Robert Falcon Scott – der zweite Mann, der den Südpol erreichte – die berühmten Worte schrieb: „Um Himmels willen! Dies ist ein schrecklicher Ort“. Hundert Jahre nach ihren Expeditionen hat sich daran sehr wenig geändert.

    Die Gebäude der Forschungsstationen benötigen eine entsprechende Wartung, um Wasser- und Kläranlagen am Laufen zu halten und Gefahrensituationen wie Brennstoffaustritt und Brände zu verhindern. Die Wartung ist während des milderen Wetters im Sommer geplant, da nur dann eine Versorgung der Außenposten für den Winter möglich ist. Die Stützpunkte leer zu lassen – oder schlimmer noch, sie zu evakuieren –, brächte mehr Probleme mit sich als eine reguläre Saison.

    Mit einigen wenigen Ausnahmen für vorläufige Projekte – darunter Australiens Reise zur Erforschung des Krills in den Gewässern der Ostantarktis – beschränken die nationalen Antarktisprogramme ihre Arbeit auf wesentliche operative Aktivitäten und halten ihre langfristigen Datensammlungen am Laufen.

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    In der neuseeländischen Scott-Basis stammen die ältesten Sammlungen noch aus der Zeit der Basisgründung im Jahr 1957. Diese Datensätze von Wetterstationen, ökologischen Untersuchungen und verankerten Bojen im Wasser helfen den Wissenschaftlern, die Schwankungen des antarktischen Klimas zu verfolgen. Für wissenschaftliche Erkenntnisse müssen nicht selten kleinste Veränderungen über lange Zeiträume gesammelt werden. Diese Messungen aus über 60 Jahren ermöglichen es den Forschern, längerfristige Trends in den Daten zu erkennen.

    „Einige dieser Datenreihen sind nie unterbrochen worden“, sagt Bertler, „deshalb wollen wir nicht die Generation sein, die das tut.“

    Hoffen auf die nächste Saison

    Dieses Jahr wird ein Probelauf stattfinden, um die Präventivmaßnahmen der Antarktisprogramme zu testen. Wenn es ihnen gelingt, ihre Teams isoliert, gesund und sicher durch die Saison zu bringen, können sie im nächsten Jahr größere Expeditionen mit mehr Wissenschaftlern anstreben – selbst wenn COVID-19 weiterhin eine Bedrohung darstellt.

    „Ich hoffe, dass die Situation anders aussehen wird, wenn die nächste Saison beginnt“, sagt Sarah Williamson, CEO von Antarctica New Zealand. „Wir werden uns auf eine ganze Saison mit so viel wissenschaftlicher Arbeit wie möglich vorbereiten und unsere Pläne dann gegebenenfalls ändern, so wie wir es dieses Jahr getan haben.“

    So entscheidend die Klimaforschung in der Antarktis für die Gesundheit des Planeten ist, so steht die Gesundheit der Wissenschaftler und Mitarbeiter an erster Stelle, fügt Wesche hinzu. „Mein Hauptziel ist es, die Menschen gesund dort hinzuschicken und sie wieder gesund zurückzuholen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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