Bipolare Mythen: Am Südpol gibt’s keine Pinguine

… und am Nordpol auch nicht. Dafür beherrschen Mücken die Eiswüste der Antarktis.

Von Brian Handwerk
Veröffentlicht am 7. Feb. 2020, 09:54 MEZ
Kaiserpinguine
Kaiserpinguine marschieren über das Eis am Cape Washington im antarktischen Rossmeer. Entgegen der landläufigen Meinung leben die Tiere nur an den Küsten und nicht im Landesinneren.
Foto von Paul Nicklen, Nat Geo Image Collection

Gewaltige Eisflächen mit endlosen Tagen und nie enden wollenden Nächten – auf Anhieb wirken die beiden Polargebiete unseres Planeten ziemlich ähnlich. Erst auf den zweiten Blick offenbaren sich die gewaltigen Unterschiede.

Die Antarktis ist ein von Eis bedeckter Kontinent, der einsam am „unteren“ Rand der Welt inmitten des weiten Meeres liegt. Aber tatsächlich wimmelt es dort nur so vor Leben. Genau am anderen Ende der Welt befindet sich die Arktis, die aus dem Arktischen Ozean und anderen Gewässern besteht. Ganz in der Nähe ragen die dicht besiedelten Kontinente Europa und Nordamerika an ihre Grenzen. Eines der wichtigsten Merkmale der Arktis ist die Eisdecke, die mit den Jahreszeiten schrumpft und wächst.

Galerie: Das wilde Winterwunderland der Arktis von oben

Die einzigartige Beschaffenheit der beiden Regionen spiegelt sich auch in den Tieren wider, die dort leben. Einige Arten wie Eisbären sind darauf ausgelegt, auf dem sich stetig verändernden Packeis der Arktis zu jagen und ihre Jungen aufzuziehen. Bei anderen Arten wie den eng verwandten Ringelrobben und Weddellrobben sind spezifische Anpassungen an das Leben im Norden respektive Süden zu sehen. Und ein ganz besonderes Tier, die Küstenseeschwalbe, lebt an beiden Enden der Erde und hat damit die längste Migrationsroute der Welt.

Nach wie vor gibt es viel Verwirrung darüber, welche Tiere nun eigentlich an welchem Pol leben. Aber keine Sorge – wir helfen gern weiter.

In der Arktis gibt es keine Pinguine

Eine der häufigsten Verwechslungen ist, dass in der Arktis Pinguine leben. Die nördliche Polarregion ist stattdessen die Heimat eines anderen charismatischen Vogels: der Papageitaucher. Das schwarzweiße Gefieder dieser kleinen Sympathieträger bildet einen Kontrast zu dem leuchtend orangeroten Schnabel und den orangefarbenen Beinen.

Genau wie Pinguine sind Papageitaucher exzellente Schwimmer und Taucher. Sie haben ein wasserdichtes Gefieder, können Salzwasser trinken und nisten an Küsten in großen Kolonien.

BELIEBT

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    Er hat einen Schnabel wie ein Papagei und ist ein hervorragender Taucher: der einleuchtend benannte Papageitaucher. Dieses Exemplar wurde auf Island fotografiert.
    Foto von Thomas P. Peschak, Nat Geo Image Collection

    Im Gegensatz zu Pinguinen, denen außerhalb des Wassers nur der Watschelgang bleibt, können Papageitaucher mit bis zu 88 km/h durch die Luft fliegen. So können sie frisch gefangenen Fisch schneller wieder zu ihren hungrigen Küken bringen, die in den Nestern an der Küste warten.

    Das größte Landtier der Antarktis ist ein Insekt

    Unter den Beutegreifern der Arktis gibt es einen unangefochtenen König: den Eisbären. Diese massigen Tiere streifen durch die Weite des Packeises und dringen in südlicher Richtung sogar bis nach James Bay vor, das auf demselben Breitengrad liegt wie London.

    Das Eis ist für die Bären dabei unerlässlich: Von dort aus machen sie Jagd auf Robben, wenn diese zum Atmen auftauchen. „Einfach ausgedrückt haben sich Eisbären evolutionär entwickelt, um von der reichhaltigsten verfügbaren Nahrungsquelle zu profitieren: den Robben“, sagt Ian Stirling, ein Professor der University of Alberta.

    Neben dem Eisbären leben in der Arktis noch weitere Prädatoren wie der Wolf und der Polarfuchs.

    Eisbären kämpfen in der kanadischen Hudson Bay. Die großen Beutegreifer sind auf das Leben und die Jagd auf dem arktischen Eis spezialisiert.
    Foto von Frans Lanting, Nat Geo Image Collection

    In der Antarktis sieht es da ganz anders aus: „Der Süden hat keine Landraubtiere“, sagt Andrew Derocher, ein Ökologe der University of Alberta.

    Der kälteste, trockenste und windigste Ort der Erde ist eine riesige, leblose Eiswüste. Das größte Landtier, das dort tatsächlich exklusiv an Land lebt, ist eine kurzlebige, flügellose Mückenart namens Belgica antarctica.

    Galerie: Unsere Lieblingsfotos von Pinguinen

    Die zahlreichen Pinguine, die sich in der Antarktis tummeln – insbesondere auf der Antarktischen Halbinsel und im Rossmeer – gehören rein taxonomisch zwar zu den Landwirbeltieren, sind zum Überleben aber auf das Meer angewiesen. Daher ist ihr Lebensraum die Küste, von der aus sie in zwei Ökosystemen agieren.

    Entgegen falscher Darstellungen in Cartoons und anderen Medien gibt es am Südpol, der weit im Landesinneren liegt, also keine Pinguine.

    Das eiskalte Wasser ist voller Leben

    In Anbetracht einer so unerbittlichen Landschaft gedeiht das Leben in der Antarktis nur in und an den eisigen Gewässern.

    „In der ganzen Antarktis ist eigentlich das Meer das Reich der Produktivität und Biodiversität. Es gibt dort enorm viele Arten, die mancherorts sehr zahlreich sind“, sagt Phil Trathan, der Leiter des Bereichs Artenschutzbiologie für die British Antarctic Survey.

    In den Meeren der Antarktis wimmelt es nur so vor Krill. Die Massen von Kleinstlebewesen stellen eine wichtige Nahrungsquelle für Blau-, Buckel- und Zwergwale sowie Pinguine dar.

    In der Antarktis lebt eine Vielzahl von Pinguinen, aber nur Kaiser- und Adeliepinguine halten sich permanent auf der großen Kontinentalmasse auf. Andere Arten wie Zügel-, Esels- und Goldschopfpinguine nisten in Kolonien auf der Antarktischen Halbinsel oder subantarktischen Inseln. Als geschickte Schwimmer, die sich Krill, Fische und Tintenfische jagen, sind Pinguine nicht aufs Fliegen angewiesen – zumal sie auf dem Eis der Antarktis keine natürlichen Feinde haben.

    Männliche Narwale jagen im kanadischen Lancaster Sound Kabeljau. Genau wie Eisbären sind diese Tiere auf das Leben im arktischen Packeis angepasst.
    Foto von Paul Nicklen, Nat Geo Image Collection

    Im Meer müssen sich die Vögel vor allem vor Seeleoparden in Acht nehmen. Die schnellen Jäger haben es auf warmblütige Beute abgesehen. Spannenderweise fressen sie aber auch Krill: Sie verfügen über „große Fangzähne für die Jagd auf Vögel und Säugetiere und über modifizierte, siebartige Zähne, mit denen sie Krill aus dem Wasser filtern“, sagt die Antarktisforscherin Regina Eisert von Kosatka Consulting in Neuseeland.

    Narwale leben nur im Norden

    Die „Einhörner des Meeres“ verdanken ihren Spitznamen dem langen, gedrehten Zahn, der wie ein Horn aus ihrem Kopf ragt. In Gruppen von einigen Dutzend bis zu mehreren hundert Tieren schwimmen sie durch die Gewässer rund um die Arktis.

    Die Narwale halten sich das ganze Jahr über in der Region auf und verbringen den Sommer in den eisfreien Küstengewässern. Wenn sie auf undurchdringliches Küsteneis stoßen, schwimmen sie weiter raus ins Meer, um unter dem Packeis nach Nahrung zu suchen. Spalten und Öffnungen zwischen den Eismassen nutzen sie zum Atmen

    Rätsel um legendäre Narwal-Stoßzähne gelüftet

    Es gibt keine Haie in der Antarktis – aber viele in der Arktis

    In den antarktischen Gewässern ist es zu kalt für Haie, aber am gegenüberliegenden Ende des Planeten leben etwa ein Dutzend Arten. Der Grönlandhai zählt zu den geheimnisvollsten Vertretern der Haiwelt: Bis 1955 existierte kein Foto eines lebenden Exemplars. Die Prädatoren, die mindestens 272 Jahre alt werden können, fressen alles, wie sie finden können – von Fischen und Robben bis zu Kadavern von Eisbären und Rentieren.

    Seltener Grönlandhai vor Kanada gefilmt
    Im kalten, tiefen Meer vor der Küste Nunavuts in Kanada wurde eine seltene und langlebige Haiart gefilmt.

    Ein paar Fische trotzen den unwirtlichen Gewässern der Antarktis aber dennoch: Die treffend benannten Antarktisfische (Notothenioidei) produzieren ihre eigenen Frostschutzproteine. Sie binden sich an kleine Eiskristalle in ihrem Blut und verhindern so, dass es ihnen sprichwörtlich in den Adern gefriert. Die Art Chaenocephalus aceratus ist außerdem das einzige Wirbeltier ohne rote Blutkörperchen. Ihr weißes Blut lässt sie wie eine geisterhafte Erscheinung wirken.

    Orcas sind „bipolar“

    Orcas leben in vielen der weltweiten Meere, darunter auch in denen rund um die Arktis und Antarktis. In der südlichen Polarregion tummeln sich etwa 70.000 Exemplare, die sich auf unterschiedliche Nahrungsquellen spezialisiert haben. Orcas vom Typ A machen vorwiegend Jagd auf andere Wale und See-Elefanten, während die vom Typ B Robben und Pinguine fressen und Typ C sich auf Fische konzentriert, so Eisert.

    Sie hat bereits beobachtet, wie Typ-C-Orcas mindestens anderthalb Kilometer unterhalb eines Eisschilds entlanggeschwommen sind – ein riskantes Verhalten für Tiere, die zum Luftholen auftauchen müssen. Diese Orcas scheinen „über eine außergewöhnliche Orientierung zu verfügen, wenn sie sich ihren Weg so durch das Eis bahnen“, sagt Eisert.

    Robbe übersteht Angriff hungriger Orcas

    Antarktische Robben sind entspannter

    In beiden Polargebieten bringen Robben im Frühling ihre Jungen auf dem Eis zur Welt, das an den Küsten verankert ist – sogenanntes Festeis.

    In der Antarktis müssen sie sich dabei keine Sorgen um Fressfeinde machen und gedeihen prächtig: sie machen etwa die Hälfte aller weltweiten Flossenfüßer aus. Hoch im Norden kennen sie ihren Platz in der Nahrungskette allerdings ganz genau. Sie müssen sich vor Eisbären, Füchsen, Wölfen und Menschen in Acht nehmen.

    Stirling hat die Lebensweise der antarktischen Weddellrobben und ihrem ökologischen Gegenstück in der Arktis, den Ringelrobben, miteinander verglichen. „Der größte wahrnehmbare Unterschied ist, dass man in der Antarktis einfach zu einer Robbe hinlaufen kann, die auf dem Eis liegt, weil es dort keine Raubtiere gibt, vor denen sie Angst haben müssten“, sagt er. In der Arktis kann man sich einer Ringelrobbe vielleicht auf 100 Meter annähern, bevor sie das Weite sucht.

    Weddellrobben bringen ihre Jungen außerdem direkt auf dem Eis zur Welt, während Ringelrobben sie in oder hinter Schneehaufen verstecken.

    Ein Tier zieht von Pol zu Pol

    Die Küstenseeschwalbe hat den längsten Zugweg der Welt: Auf ihrem Rundflug von den Brutplätzen in Grönland zur Antarktis legt sie jedes Jahr um die 30.000 Kilometer zurück.

    Ganz klar ist nicht, warum die Vögel diese weite Reise antreten. Aber die Evolution mache sie zu den ultimativen Fliegern: Im Laufe ihres etwa 30-jährigen Lebens kann eine Küstenseeschwalbe gut und gerne 2,4 Millionen Kilometer zurücklegen – das entspricht drei Flügen von der Erde zum Mond und wieder zurück.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

     

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