Warum der Mount Everest ständig seine Höhe ändert

Vor Millionen von Jahren führte der Zusammenstoß zweier Kontinentalplatten zur Entstehung des Himalaya. Die Kollision dauert bis heute an – mit Folgen.

Von Maya Wei-Haas
Veröffentlicht am 15. Dez. 2020, 09:14 MEZ
Hinter dem Gipfel des Mount Everest leuchtet das frühe Morgenlicht.

Hinter dem Gipfel des Mount Everest leuchtet das frühe Morgenlicht.

Foto von Edson Vandeira, National Geographic Image Collection

Meeresboden auf dem Mount Everest? Es ist wissenschaftlich erwiesen und trotzdem nur schwer vorstellbar, dass die Felsen unter der dicken Schneedecke des höchsten Gipfels der Welt irgendwann einmal auf dem Boden des Meeres ruhten. Grund dafür, dass sie nun fast 9.000 Meter über den Meeresspiegel hinausragen, ist die langsame Verschiebung zweier Kontinentalplatten – also jene Felsplatten, die die feste Außenhülle unseres Planeten bilden.

Still stehen diese Platten nie, und ihre Bewegungen formen unsere Natur jeden Tag weiter. Wo sie auseinanderdriften, bilden sie Täler und tiefe Spalten. Dort, wo sie sich aufeinander zubewegen, kommt es zu mächtigen Krustenverdickungen: die Bewegung, die Konvergenz genannt wird, erzeugt sogenannte Faltengebirge wie den Himalaya.

Der Mount Everest, der sich an der Grenze zwischen Tibet und Nepal erhebt, ist vor zig Millionen Jahren aus einem solchen tektonischen Zusammenprall entstanden. Die Kollision der Indischen und der Eurasischen tektonischen Platte zerknitterte die Landschaft über eine Strecke von rund 2.500 Kilometern – und schuf damit das höchste Gebirge unseres Planeten. Während die genauen Schritte dieses Vorgangs unklar sind, ist eines sicher: Bis heute bewegen sich die Platten aufeinander zu, und das hat Folgen. Die Höhe des Mount Everest und der umliegenden Berge verändert sich jedes Jahr. (Mehr Informationen zur aktuellen Höhe des Mount Everest gibt es hier.)

Illustration des Vorgangs.

Foto von National Geopgraphic Staff

Die Geburt eines Gebirges

Die Geschichte des Himalaya beginnt irgendwann vor mehr als 200 Millionen Jahren, als der Urkontinent Pangaea sich in mehrere Einzelteile splittete. Die Indische Platte löste sich und bewegte sich nördlich Richtung der Landfläche, die wir heute als Asien kennen. Dabei legte sie eine überraschend schnelle Geschwindigkeit an den Tag: pro Jahrhundert verschob sie sich um mehr als 14 Meter.

Die Lücke zwischen Indien und Eurasien füllte zu dieser Zeit ein Ozean, die Tethys. Mit der Verschiebung wurde dieser Ozean immer kleiner, bis er irgendwann verschwand. Die ozeanische Lithosphäre am Rande der Indischen Platte tauchte in den darunterliegenden Teil des Erdmantels – ein Vorgang, den man als Subduktion bezeichnet. Am Rand der Eurasischen Platte türmte sich derweil eine dicke Schicht von Meeresbodensedimenten auf. Später wurde die sandige Schicht zu Fels gepresst und schließlich zu Berggipfeln emporgehoben.

Vor rund 50 Millionen Jahren nahm die Geschwindigkeit der Indischen Platte ab. Viele Wissenschaftler vermuten dahinter die erste Vorstufe im Zusammenstoß mit der Eurasischen Platte. Auch Hinweise in maritimen Sedimenten deuten darauf hin, dass der Zusammenstoß vor 50 bis 60 Millionen Jahren stattgefunden haben muss, denn zu dieser Zeit verschwand das Tethysmeer.

BELIEBT

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    Anders als eine ozeanische Platte, die kalt ist und eine hohe Dichte hat, ist die Indische Kontinentalplatte mächtiger und besitzt mehr Auftrieb. Als sich die Kontinente zusammendrückten und Indien sich unter Asien schob, wölbte sich die Oberfläche der Indischen Platte und ihre Kruste verdickte sich. So entstand das Gebilde, das schließlich die mächtige Himalaya-Bergkette werden würde. Zumindest war das lange Zeit die akzeptierte Version der Geschichte.

    Wie der höchste Gipfel der Welt zum Klimalabor wurde
    Im Rahmen der Perpetual Planet Everest Expedition von National Geographic und Rolex macht sich ein Team von Wissenschaftlern und Sherpas auf, um Informationen über die Gletscherveränderungen im Himalaya zu sammeln. Mit der Entnahme von Eisbohrkernen aus dem höchsten Gletscher der Welt hat das Team damit begonnen, Details über den Klimawandel aufzudecken, die bisher in diesem schwer zugänglichen Eis verborgen waren.

    Aber während Wissenschaftler weiterhin jeden Riss und jedes Gestein in diesem System untersuchen, kamen viele ungeklärte Fragen auf. Die Untersuchung alter magnetischer Muster im Gestein ermöglicht es den Forschern, die Position eines Kontinents im Laufe der Jahrmillionen der Erdgeschichte zu bestimmen. Jüngste Arbeiten mit dieser Methode haben gezeigt, dass Indien zum Zeitpunkt der gebirgsbildenden Kollision vor etwa 55 Millionen Jahren auffallend weit südlich von Eurasien gelegen haben muss. Daraus ergäbe sich eine mysteriöse, gähnende Lücke zwischen den beiden Kontinenten.

    Stieß die Indische Platte also vielleicht mit einer heute längst verschwundenen Landfläche zusammen, die sich zwischen den zwei Kontinentalplatten befand? Oder könnte die Nordkante der Indischen Platte sich viel weiter erstreckt haben als bisher gedacht? Warum bewegte sich die Platte so extrem schnell, bevor sie mit Eurasien zusammenstieß? An Antworten auf diese und viele andere Fragen arbeiten Wissenschaftler heute.

    Der Ausblick vom nördlichen Basislager am Mount Everest zeigt den schweren Weg auf den höchsten Gipfel der Erde.

    Foto von Renan Ozturk, National Geographic

    Plattentektonik und Gebirgswachstum

    Wann auch immer die Kollision genau startete, sicher ist, dass sich die Platten bis heute weiterbewegen und der Mount Everest sich damit immer weiter verändert. Jedes Jahr wandert Indien ein bisschen weiter nach Norden, und man vermutet, dass die Eurasische Platte die Gebirge Jahr für Jahr weiter in die Höhe schieben wird. Geschätzt wird eine durchschnittliche Anhebung von ungefähr 10 Millimetern pro Jahr in den nordwestlichen Abschnitten des Himalaya und circa einem Millimeter pro Jahr am Mount Everest.

    Das Wachstum kommt in Schüben, die durch heftige Kollisionen der Erdplatten ausgelöst werden. Denn eine Platte schiebt sich alles andere als reibungslos unter eine andere: Durch Reibung und Kompression entsteht starker Druck, der sich irgendwann schlagartig in Erbeben entlädt. 

    Galerie: Not am Mount Everest

    Nicht jedes Erdbeben bedeutet jedoch, dass gleichzeitig ein Berg wächst. Es kann sogar dazu führen, dass Gebirge schrumpfen. Auswertung von Satellitendaten lassen vermuten, dass während des verheerenden Erdbebens in Nepal im Jahr 2015 genau das geschah.

    Während sich unter der Erde die Platten bewegen, sorgen über der Erde Wind und Regen tagtäglich dafür, dass nichts bleibt, wie es ist. Erosion trägt die Oberfläche der Berge ab, in sprudelnden Bächen wird Sediment die Hänge hinuntergespült. Im Himalaya fließt ein Großteil des Sediments durch die Flüsse Ganges und Brahmaputra und setzt sich als Sand am Grund ab. Und so bildet ein Teil des Gebirges neuen Boden in Bangladesch und dem indischen Bundesstaat Westbengalen.

    Auch wenn Erosion und Schwerkraft die mächtigen Berge in Schach halten, führen die tektonischen Platten ihren geologischen Tanz fort – und der Everest steht nie wirklich still.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    Perpetual Planet

    Sherpas: Die Unsichtbaren des Everest

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