Kein Platz für Lemuren: Madagaskars Regenwaldproblem

Eine neue Modellrechnung belegt: Abholzung und der Klimawandel könnten einen Großteil des Regenwalds auf der Insel vernichten – aber wir müssen nicht hilflos zusehen.

Von Erica Tennenhouse
Veröffentlicht am 2. Jan. 2020, 11:04 MEZ
Schwarzweißer Vari
Dieser Schwarzweiße Vari schaut im Lincoln Children’s Zoo in Nebraska in die Kamera.
Foto von Joël Sartore, National Geographic Photo Ark

Hoch oben in den Wipfeln des Regenwalds im Osten Madagaskars leben neben zahlreichen weiteren Tierarten auch zwei stark bedrohte Vari-Arten. Eine kürzlich veröffentlichte Hochrechnung zeigt nun auf, dass der Klimawandel und der Verlust des Regenwalds eine noch größere Auswirkung für die Primaten haben könnte als ursprünglich angenommen: Ihr Lebensraum könnte bis zum Jahr 2080 vollkommen verschwunden sein.

Wie viele der auf Madagaskar heimischen Pflanzen und Tiere sind auch die Schwarzweißen und Roten Varis ausschließlich auf dieser Inselnation zu finden. Sie zählen außerdem zu den 96 von 101 Lemuren-Arten, die als vom Aussterben bedroht gelten.

Weil diese beiden Primaten-Arten ausschließlich in hohen Bäumen leben, nimmt ihre Population dramatisch ab, wenn der Urwald abgeholzt oder in unzusammenhängende Landstücke aufgeteilt wird. Ihre Anwesenheit ist daher ein wichtiges Anzeichen für ein intaktes Ökosystem im Wald. Außerdem verbreiten die Tiere Baumsamen, was zu ihren bedeutendsten Aufgaben zählt.

Das Rechenmodell, das am 23. Dezember 2019 im Wissenschaftsmagazin „Nature Climate Change“ veröffentlicht wurde, zeigt auf, dass die Kombination aus Abholzung und sich veränderndem Klima für das Verschwinden des Regenwalds innerhalb der nächsten 60 Jahre sorgen könnte. Übrig blieben dann nur noch Weide- und Ackerbauflächen. Rund 45 Prozent des Regenwalds auf Madagaskar wurden bereits seit den 1950er-Jahren zerstört.

Galerie: Katastrophale Abholzung der Regenwälder schreitet fast ungebremst voran

„Ich beschäftige mich jetzt schon seit etwa zehn Jahren mit diesen Modellen“, sagt Studienautor Adam Smith, der als Ökologe im Botanischen Garten in Missouri tätig ist. „Bislang kam es nur zwei Mal vor, dass mich die Zahlen auf dem Bildschirm so sehr erschreckt haben.“

Smith weist jedoch nachdrücklich darauf hin, dass man sich nun nicht dem Gefühl der Hilflosigkeit hingeben sollte, weil die Studienergebnisse so düster ausgefallen sind. „Hochrechnungen sind nur der Versuch, in die Zukunft zu schauen, während Szenarios mögliche Optionen darstellen“, erklärt Smith.

Noch gibt es Mittel und Wege und damit Hoffnung für Madagaskars Regenwälder. So helfen die neuesten Forschungsergebnisse beispielsweise Wissenschaftlern und Regierungen bei der Entscheidung, wie sie den Lebensraum der Varis am besten schützen können.

Schutz auf dem Papier

BELIEBT

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    Diese Roten Varis im Miller Park Zoo in Bloomington, Illinois, halten mitten in der Bewegung inne, um in die Kamera zu schauen.
    Foto von Joël Sartore, National Geographic Photo Ark

    Um eine Prognose über das zukünftige Schicksal der Varis abgeben zu können, kalkulierten die Wissenschaftler die Schwundraten der Regenwälder auf Madagaskar anhand von Daten aus den Jahren 2000 bis 2014. Diese Raten wurden dann auf den Verlust in den kommenden Jahren hochgerechnet. Darin flossen auch Prognosen über Trockenheit, Niederschläge und Temperaturen in den jetzigen Habitaten der Varis ein. Diese Vorhersagen stammen vom Weltklimarat, der von den Vereinten Nationen für die Klimaforschung eingesetzt wurde.

    Das Verschwinden des Regenwalds ist sowohl der Holz- und Landwirtschaft, wie auch dem Klimawandel geschuldet. Allerdings wiegen die Auswirkungen der Abholzung hier laut der Modelle weit schwerer als das sich ändernde Klima.

    Auf Madagaskar gibt es etwa 100 unzusammenhängende Regenwaldschutzgebiete. Theoretisch sollten die Bäume in diesen Regionen sicher sein. Die Realität sieht jedoch anders aus, da diese Schutzgebiete meist nur „auf dem Papier“ existieren – Regionen, die als schützenswert auf der Karte eingetragen sind, was jedoch im Alltag nicht durch entsprechende Maßnahmen durchgesetzt wird. Das öffnet massiven illegalen Rodungen die Tür.

    Die meiste Abholzung auf Madagaskar erfolgt in kleinem Rahmen. Die Einheimischen roden kleine Regenwaldflächen und brennen sie ab. Die daraus entstehende Asche düngt den schlechten Boden auf und erlaubt es den Menschen, die entstehende Fläche landwirtschaftlich zu nutzen, um ihre Familien zu ernähren.

    „Natürlich schwebt der Klimawandel wie ein Damoklesschwert über allem, aber wenn die Wälder weiter in diesem Tempo zerstört werden, wird es nichts mehr geben, dass sich an das veränderte Klima anpassen muss“, meint Studienautorin Andrea Baden, die am Institut für Biologische Anthropologie am Hunter College in New York forscht. „Das macht mir am meisten Angst.“

    Travis Steffens, Ökologe und leitender Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation Planet Madagascar, fügt hinzu, dass der Verlust des Regenwalds auf Madagaskar noch weit dramatischer sein könnte, als die Studie annimmt.

    „Die Autoren nutzen eine sehr konservative Herangehensweise an die Zahlen“, meint er. „Aber es ist schockierend, wie schlimm es selbst mit diesen zurückhaltenden Hochrechnungen aussieht.“

    Optimistisch in die Zukunft

    Als die Forscher jedoch ein optimistischeres Szenario durchrechneten – das die Erhaltung des Regenwalds innerhalb der Schutzgebiete annahm –, erhielten sie ein „besseres“ Ergebnis: So könnte die Hälfte der Urwaldflächen der Insel im Jahr 2070 noch intakt sein.

    Wissen kompakt: Regenwälder
    Regenwälder beheimaten mehr als die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten der Welt. Erfahrt mehr über die unterschiedlichen Regenwald-Typen, ihren Beitrag zum globalen Ökosystem und die Bedrohung durch den Menschen.

    Die Wissenschaftler haben nun also eine klare Vorstellung davon, wie man die Regewälder auf Basis dieses optimistischeren Szenarios schützen könnte. „Wir hoffen, dass wir die Maßnahmen damit verbessern können und damit die Regionen zu echten Schutzgebieten machen, die nicht nur auf dem Papier existieren“, sagt Baden.

    Sie weist jedoch auch nachdrücklich darauf hin, dass viel Fingerspitzengefühl nötig sein wird. „Wir müssen ganz bewusst eng mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten, um auch ihre Lebensbedingungen und gesundheitliche Versorgung zu verbessern.“

    Steffens bringt auch eine weitere Lösung ins Spiel: das Pflanzen neuer Bäume. „Ich bin der Meinung, dass die Wiederaufforstung die größte Priorität direkt nach dem Schutz der bestehenden Regenwälder hat, weil es günstiger ist“, meint er.

    Aber angesichts des Schwunds der großen Artenvielfalt und Einzigartigkeit dieser Urwälder, die uns noch in diesem Jahrhundert bevorstehen könnte, regt Smith neue, kreative Ideen an. „Möglicherweise müssen wir grundlegend überdenken, wie erfolgreicher Naturschutz aussieht“, sagt er.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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