Wölfe: Die Super-Ökologen des Yellowstone

Vor 25 Jahren kehrten Wölfe zurück in den Nationalpark. Dank ihnen sind die Hirschbestände im Yellowstone heute wieder stabil und gesund.

Von Christine Peterson
Veröffentlicht am 14. Juli 2020, 11:30 MESZ
Wölfe und Elstern fallen über die entsorgten Kadaver her, die Jäger im Yellowstone-Nationalpark zurücklassen.

Wölfe und Elstern fallen über die entsorgten Kadaver her, die Jäger im Yellowstone-Nationalpark zurücklassen.

Foto von Michael Nichols With Ronan Donovan And The National Park Service

LARAMIE, WYOMING. Vor 25 Jahre sind die Wölfe in den Yellowstone-Nationalpark zurückgekehrt. Entgegen aller Befürchtungen, dass sie die dortigen Wapitihirsche ausrotten könnten, haben sich die Raubtiere als stabilisierende Kraft erwiesen. Neue Forschungen zeigen, dass Wölfe durch die Verringerung des Hirschbestandes und die Jagd auf schwache und kranke Tiere dazu beitragen, widerstandsfähigere Herden zu schaffen.

In den letzten zwölf Jahren hat sich die Zahl der Tiere in der größten Herde des Parks zwischen 6.000 und 8.000 Tieren eingependelt. Zuvor war es immer wieder zu extremen Schwankungen gekommen, die direkt mit dem Klima zusammenhingen.

Galerie: Allein unter Wölfen

„Die Wapitis verhungern nicht mehr“, sagt Chris Wilmers, ein Wildtierökologe an der University of California in Santa Cruz.

In Jahren mit normalen Regen- und Schneemengen töten Wölfe vor allem ältere Hirschkühe, da sie am leichtesten zu jagen sind. Wilmers leitete jedoch vor Kurzem eine Studie, die zeigte, dass Wölfe in besonders trockenen Jahren – wenn Gras, Sträucher und Wildblumen nicht mehr so üppig wachsen – zur Jagd auf Bullen übergehen. Die stämmigen Männchen fressen bereits im Herbst nicht mehr viel und konzentrieren sich stattdessen auf ihre Kämpfe um die Hirschkühe. Diese Anstrengungen verbrennen Kalorien und schwächen die Bullen auf dem Weg in den Winter. In trockenen Jahren magern sie sogar noch mehr ab.

Als anpassungsfähige, intelligente Raubtiere haben Wölfe gelernt, diese Faktoren zu erkennen. Sie töten lieber einen unterernährten, 340 Kilogramm schweren Bullen als eine 200 Kilogramm schwere Hirschkuh. Indem sie in Jahren der Nahrungsknappheit gezielt Bullen töten, geben sie den Kühen die Chance sich fortzupflanzen und halten so den Hirschbestand stabil.

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    Am wichtigsten ist jedoch, dass die Wölfe im Yellowstone-Gebiet – inzwischen sind es zwischen 300 und 350 – den Wapitiherden helfen könnten, die Gefahren eines unbeständigeren Klimas zu meistern. Zu diesem Ergebnis kam Wilmers’ Studie, die im „Journal of Animal Ecology“ veröffentlicht wurde. Herden mit einer stabilen Zahl an Wapitis kommen besser mit häufigeren Dürreperioden zurecht – eine Auswirkung des Klimawandels, der in der Region bereits zu spüren ist.

    „In einer unvorhersehbaren Zukunft wollen wir einen Puffer“ gegen das Massensterben der Hirsche, sagt Doug Smith, der leitende Wildtierbiologe des Yellowstone. Die Befähigung der Wölfe, die Wapitiherden stabil zu halten, kann genau diesen Puffer schaffen. Durch Jagd- und Managementpraktiken „helfen Menschen dabei, die Hirschbestände zu stabilisieren – aber sie tun nicht dasselbe wie Wölfe“.

    Wölfe des Junction Butte-Rudels fressen einen Hirsch im Lamar Valley im Yellowstone-Nationalpark.

    Foto von Ronan Donovan

    Eine Hirschkuh kümmert sich um ihre Wunden, nachdem sie einem Wolfsrudel im Lamar Valley knapp entkommen ist.

    Foto von Ronan Donovan

    Die Ergebnisse aus dem Yellowstone seien auch deshalb relevant, weil die Bewohner Colorados im November darüber abstimmen, ob sie Wölfe wieder in ihren Bundesstaat einführen wollen. Dort leben etwa 287.000 Wapitis – der größte Bestand in den USA.

    Gleichgewicht zwischen Jägern und Beute

    Für ihre Studie analysierten Wilmers, Smith und Kollegen mehr als tausend tote Wapitis im Yellowstone sowie in den Bundesstaaten Wyoming, Montana und Idaho über einen Zeitraum von 20 Jahren. Die Wissenschaftler verbrachten zu Beginn und am Ende jedes Winters etwa einen Monat damit, drei Wolfsrudel zu verfolgen, jeden Hirsch zu lokalisieren, den sie erlegten, Alter und Geschlecht des toten Tieres zu notieren und eine Knochenmarkprobe zu entnehmen, um den körperlichen Zustand des Wapitis vor seinem Tod zu bestimmen. Das Team verwendete außerdem Satellitendaten, um darauf zu schließen, wie viel pflanzliche Nahrung den Hirschen jedes Jahr zur Verfügung stand. Die Menge hängt von der Schneeschmelze und dem Niederschlag ab.

    Die Zusammenfügung all dieser Daten ergab, dass Wölfe in vegetationsarmen Jahren eher auf Bullen Jagd machen. Das Ergebnis verdeutlicht, wie Klimaveränderungen das Verhalten von Raubtieren beeinflussen können.

    Das ist besonders nützlich für das Management und den Schutz der Wölfe, deren Bestand sich nach mehr als einem Jahrhundert der Verfolgung immer noch erholen muss. Vor dem 20. Jahrhundert lebten Yellowstone-Raubtiere wie Grizzlybären, Schwarzbären, Wölfe und Pumas Seite an Seite mit robusten Beständen von Bisons, Wapitis, Maultierhirschen, Gabelböcken und Dickhornschafen.

    Aber durch eine koordinierte Kampagne der Bundesregierung wurden fast alle diese Raubtiere und Bisons auf dem Gebiet ausgerottet. Das letzte bekannte Yellowstone-Wolfsrudel wurde 1926 getötet. Auch in den unteren 48 Bundesstaaten wurden die Wölfe in einem Großteil ihres historischen Verbreitungsgebiets ausgerottet. Nur ein paar Bestände rund um die Großen Seen blieben übrig.

    Ein Wolf läuft in eine Kamerafalle im Yellowstone. Zwischen 300 und 350 der Raubtiere leben heute wieder in der Region.

    Foto von Ronan Donovan

    Als die Wölfe verschwunden waren und auch die Bestände von Bären und Pumas stark zurückgingen, schoss die Zahl der Hirsche in die Höhe. Zwischen 1932 und 1968 entnahmen der U.S. National Park Service und der Bundesstaat Montana mehr als 70.000 Wapitis aus der nördlichen Yellowstone-Herde: Die Tiere wurden entweder geschossen oder eingefangen und durch das ganze Land in Gebiete transportiert, in denen sie zuvor ausgerottet worden waren.

    Als der Park 1968 aufhörte, Hirsche zu töten, schossen die Zahlen von etwa 5.000 wieder auf fast 20.000 in die Höhe. Während der nächsten Jahrzehnte waren die Bestände der Wapitis extremen Schwankungen unterworfen, die mit den klimatischen Veränderungen einhergingen. In harten Wintern war der Boden von Hunderten Hirschkadavern übersät – die Tiere waren einfach verhungert. Dann, zwischen 1995 und 1997, brachten Wildhüter 41 Wölfe in den Yellowstone. Die Zahl der Grizzlybären und Pumas, die ebenfalls Jagd auf Hirsche machen, nahm aufgrund strengerer Schutzmaßnahmen durch die Bundesstaaten und die Bundesregierung zu. Die Population der Wapitis ging zurück und stabilisierte sich schließlich.

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    Im Winter 2010/2011 ging es den Hirschen trotz ungewöhnlich tiefem Schnee und kalten Temperaturen relativ gut, verglichen mit den Massensterben in ähnlichen Wintern in den Achtzigern und Neunzigern, sagt Smith.

    „Wenn Hirsche verhungern bedeutet das, dass sie sich ihre eigene Lebensgrundlage wegfressen“, erklärt Smith. Die ökologischen Systeme seien besser auf ein Gleichgewicht von Raub- und Beutetieren angepasst.

    Lektionen aus dem Yellowstone

    Forscher nutzen nun die Daten aus 25 Jahren, um vorherzusagen, was passieren könnte, wenn die Raubtiere nach Colorado oder in einen anderen US-Bundesstaat innerhalb ihres historischen Verbreitungsgebiets zurückkehren. Einige Gruppen drängen auf die Wiedereinführung Mexikanischer Wölfe – eine Unterart des Wolfes – in ihre früheren Lebensräume in New Mexico und Arizona.

    Nach Jahren extremer Schwankungen haben sich die Hirschbestände im Yellowstone-Nationalpark nun stabilisiert, sagen Forscher.

    Foto von Ronan Donovan

    Bislang gibt es allerdings noch mehr Fragen als Antworten. Das Yellowstone-Gebiet ist zwar riesig und dünn besiedelt, aber ein Großteil von Colorado ist es nicht. Das heißt, wenn Wölfe wieder angesiedelt würden – wie viele von ihnen dürften dann die Berge durchstreifen und wie sehr würden die Menschen ihre Anwesenheit tolerieren? Das seien alles potenzielle Herausforderungen, sagt Joanna Lambert, Professorin für Umweltstudien an der University of Colorado Boulder und wissenschaftliche Beraterin für das Rocky Mountain Wolf Project, das sich für die Wiederansiedlung von Wölfen einsetzt.

    Die Bundesstaaten würden die Wölfe als „Versuchspopulation“ handhaben – ein Unterschied zu den im Yellowstone wieder angesiedelten Rudeln, die als „bedrohte Art“ besonders geschützt waren. Das bedeutet, dass der Abschuss von Wölfen, die jenseits der Grenzen des Yellowstone-Nationalparks unterwegs waren, weitgehend verboten war, insbesondere zu Beginn der Wiederansiedlung. In Colorado gäbe es wahrscheinlich keine ähnlichen Beschränkungen.

    Aber eine Lehre aus dem Yellowstone sei schon heute klar, sagt Lambert: Die Wölfe würden sicherlich einige der zahlreichen Hirsche Colorados fressen.

    Wenn Wölfe wiederangesiedelt werden, würden die Herden des Bundesstaats „kleiner, stärker und gesünder“, prognostiziert sie.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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