Darf man Schnee essen?

Winter is coming - und mit ihm hoffentlich der Schnee. Wer sich die zarten Flöckchen auf der Zunge zergehen lassen will, sollte ein paar Dinge beachten.

Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 28. Dez. 2020, 09:57 MEZ, Aktualisiert am 29. Dez. 2020, 14:50 MEZ
Darf ich Schnee essen?

Wie ungesund ist eine Portion Schnee? Wenn man ein paar Dinge beachtet, steht einer wenig kulinarischen aber dafür umso kälteren Mahlzeit nichts im Wege.

Foto von Joshua Hoehne, Unsplash.com

Alle Jahre wieder kann man sich kaum der Freude über den ersten Schnee entziehen. Rieselt er leise aus den Wolken und sammelt sich bestenfalls in einer dicken Schicht auf dem Boden, verschwindet die Landschaft wie unter weißer Zuckerwatte. Während Erwachsene seltener dem Impuls Schnee zu essen nachgeben, blicken Kinder mit herausgestreckten Zungen gen Himmel und schlecken die dicken Flocken von ihren Handschuhen. Doch ist Schnee essen gesund?

Woraus besteht Schnee?

Irgendwo im Hinterkopf schwirrt noch die Information herum, dass Schnee essen ungesund, wenn nicht sogar gefährlich ist, weil er zu viele Schadstoffe und Verunreinigungen enthält. Doch stimmt das?

Damit eine Schneeflocke entsteht, müssen drei Vorraussetzungen erfüllt sein: eine Temperatur unter null Grad, ausreichend hohe Luftfeuchtigkeit plus Kondensationskeime. Enthält die Luft ausreichend Wasserdampf, kondensiert der Dampf an einem dieser Keime - meist ein chemischer Partikel in der Luft. Unter null Grad gefrieren diese Wassertröpfchen zu Eiskristallen und verketten sich mit weiteren Eiskristallen zu einem Eiskristallgitter. Bis die Schneeflocke aus der Wolke fällt, besteht sie aus ungefähr 10 Millionen Eiskristallen, die sich meistens zu einem sechseckigen Prisma formen. Für die Form sind die Temperatur und Luftfeuchtigkeit verantwortlich: Ist es beispielsweise wärmer als -5 Grad, bilden sich größere Schneeflocken als bei kühleren Temperaturen und damit trockenerer Luft. Sterne bilden sich erst ab einer Temperatur von -12 Grad.

Eine Schneeflocke besteht demnach zu 100 Prozent aus Wasser. Auf ihrem Weg durch die Atmosphäre und beim Liegen am Strassenrand kann sie aber kleine Partikel aufnehmen, so dass sie, wenn wir sie essen wollen, mit einigen ungewollten „Zusatzstoffen“ angereichert ist.

360° Video: Antarktis - Schnee im Sommer
Trefft einen See-Elefanten und erkundet eine Pinguinkolonie in der Antarktis, während ein Sturm aufzieht. Produziert von BLACK DOT FILMS VR für National Geographic Partners. © 2016 National Geographic Partners, LLC. All Rights Reserved.

Schnee bindet Schadstoffe

Auf seinem Weg durch die Atmosphäre trifft die Schneeflocke auf winzige Schadstoffe und Mikroplastikpartikel, die zum Teil über große Distanzen durch die Atmosphäre transportiert wurden. „Bei Schnee binden sich Schadstoffe an den Kondensationskeim, kondensieren an den Schnee oder werden vom Schnee durch Kollision aus der Luft gewaschen. Liegt der Schnee längere Zeit, dann können zusätzlich Stäube auf der Schneeoberfläche abgelagert werden“ erklärt eine Sprecherin des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), das im Rahmen des PureAlps-Projekts an verschiedenen Forschungsstationen im Alpenraum seit 15 Jahren Einträge von schwer abbaubaren organischen Schadstoffen bestimmt. Die Ergebnisse des jahrelangen Monitorings von Schadstoffen in den Alpen zeigen zahlreiche schwer abbaubare Stoffe in der Luft, im Niederschlag, den Böden und Pflanzen. „Wir untersuchen im Monitoring PureAlps an der Zugspitze besonders problematische Schadstoffe wie Quecksilber, Flammschutzmittel, Dioxine oder Organochlorpestizide (z.B. DDT). Wir detektieren eine breite Palette dieser Schadstoffe. Generell führen die Kälte und die hohen Niederschläge in den Bergen zu einer starken Auswaschung der in PureAlps erfassten Schadstoffe. So kommt es, dass in den Alpen, trotz üblicherweise sehr geringer Schadstoffkonzentrationen in der Luft, die Einträge durch den Niederschlag ähnlich hoch sein können wie in städtischen Gebieten“, so die Sprecherin.

Schnee von Alpengipfeln 

Damit sind sogar entlegene alpine Gebiete nicht mehr frei von Umweltrisiken durch Chemikalien. Ein Grund, auf den Genuss einer Handvoll Schnee vom Alpengipfel zu verzichten? „Stoffbezogene Grenzwerte der Trinkwasserverordnung werden im frisch gefallenen Schnee nicht annähernd erreicht. So liegt die mittlere Konzentration von Quecksilber im Schnee an der Zugspitze mehr als 100-fach niedriger als der Grenzwert der Trinkwasserverordnung. Bei dem Insektizid DDT sind die gemessenen Konzentrationen über 1000-fach niedriger. Böden filtern zudem sehr effizient Schadstoffe heraus, so dass im Bereich der Zugspitze im Quellwasser im Partnachtal nochmals geringere Konzentrationen dieser Stoffe enthalten sind als im frisch gefallenen Schnee“, beruhigt die Sprecherin des Bayerischen Landesamts.

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    Mikroplastik im Schnee

    Eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts und des schweizerischen WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF aus dem Jahr 2019 untersucht die Konzentration von Mikroplastik im Schnee verschiedener weltweiter Standorte und welche Rolle der atmosphärische Transport spielt. Sie zeigt, dass Schnee selbst in den entlegensten Regionen der Alpen oder Arktis Mikroplastikpartikel enthält. Je nach Region wurden unterschiedliche Kunststoffe in unterschiedlicher Konzentration nachgewiesen: Die höchste Konzentration von 154.000 Partikeln pro Liter fanden die AWI-ForscherInnen in den Proben einer bayerischen Landstraße. Arktischer Schnee enthielt immerhin noch bis zu 14.000 Partikel pro Liter. Dabei konnten abhängig vom Standort verschiedene Kunststoffe nachgewiesen werden. Während in der Arktis vor allem Nitrilkautschuk (häufig in Dichtungen und Schläuchen verwendet), Acrylate und kunststoffhaltige Lacke (häufig verwendet auf Oberflächen von Gebäuden, Schiffen, Autos und Offshore-Anlagen) auftauchten, enthielten die Proben der Landstrasse vor allem verschiedene Kautschukarten, die unter anderem bei Autoreifen zum Einsatz kommen.

    Schnee aus dem Garten

    Dass man grauen Schnee vom Strassenrand nicht essen darf, liegt auf der Hand und ist Kindern leicht beizubringen. Aber wie sieht es mit dem vermeintlich weißen Schnee im eigenen Garten oder auf dem Auto aus? Meereseisphysikerin Dr. Stefanie Arndt vom Alfred Wegener Institut am Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung gibt Entwarnung: „Schnee essen ist definitiv ok! Selbst im Trinkwasser oder alltäglichem Essen finden sich Mikroteilchen, das ist das gleiche beim Schnee. Natürlich muss man beim Schnee von der Wiese darauf achten, dass die Schneeauflage dick genug ist, damit man nichts vom Untergrund mit aufnimmt.“

    Der selbe Hinweis kommt von der Sprecherin des Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL): „Da reiner Schnee nur aus Wasser besteht, ist eine Aufnahme von kleinen Mengen in der Regel unproblematisch. In der Praxis besteht das Problem jedoch darin, dass unter der Schneeoberfläche möglicherweise vorhandene Kontaminationen, wie z. B. Ausscheidungen von Tieren, nicht erkannt werden und gegebenenfalls aufgenommen werden könnten.“

    Wieviel Schnee ist gesund?

    Grauer und gelber Schnee sind also tabu. Dann bliebe noch die Frage nach der Menge an Schnee, die man essen darf. Ist eine Handvoll erlaubt, oder ein halber Schneemann noch im verträglichen Bereich? Dr. Arndt berichtet, „dass auf Polarexpeditionen, Schnee als Flüssigkeitslieferant und zum Kochen genutzt wird. Der vorhandene Schnee wird geschmolzen, um darin Essen zu garen oder ihn als Basis für Tee und Kaffee zu nutzen.“ Dabei ist Abkochen kein Muss, denn „Schnee in Reinform muss man nicht abkochen. Höchstens Schnee aus tieferen Schichten, der also schon ein gewisses Alter hat, kann wegen der Abtötung von Keimen abgekocht werden. Normalerweise kann man Schnee aber genau so nehmen wie er ist.“

    Theoretisch könnte der Mensch also seinen Durst mit Schnee stillen. Praktisch gibt es allerdings Probleme: Schnee hat als gefrorenes Wasser eine viel geringere Dichte als Wasser in flüssiger Form. Man müsste ungefähr zehn Liter Schnee im Mund schmelzen, um einen Liter Wasser zu trinken. Das Schmelzen lässt den Mund nach kurzer Zeit einfrieren und kostet den Körper wertvolle Energie. Das kann in einer Notsituation zum Problem werden. So ist es schon vorgekommen, dass Bergsteiger im Schnee verdurstet sind.

    Hinzu kommt, dass der Mensch vom Schnee allein nicht leben kann, eine ausgewogene Ernährung ist wie immer wichtig. Schnee ist frei von Mineralsalzen und wirkt damit ähnlich wie destilliertes Wasser auf den Körper, dessen gestörter Salzhaushalt dann mit Übelkeit, Kopfschmerzen oder Herzrasen reagiert. „Schnee wird auf dem Weg durch die Atmosphäre nicht mit Mineralien angereichert. Das ist der Unterschied zu beispielsweise Flusswasser. Fällt der Schnee als reine Schneeform aus der Atmosphäre, fehlt ihm natürlich diese Anreicherung. Das heisst, ich sollte mich nicht wochenlang ausschließlich von Schnee ernähren, denn dann fehlen Mineralien, die für den Körper wichtig sind“, so die Meereseisphysikerin.

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    Regionale Geschmacksunterschiede

    Ein kulinarisches Erlebnis ist also beim Schnee essen nicht zu erwarten. Auch regional gibt es keine Geschmacksunterschiede, egal ob man den Schnee in der Arktis, den Alpen oder in Berlin isst, so Dr. Arndt: „Schnee ist nur Wasser und damit weltweit immer das gleiche Wasser. In der Form der Flocke gibt es Unterschiede, die sind aber auch nicht regional, sondern abhängig von der Geschichte die eine Schneeflocke auf ihrem Weg nach unten durchlebt hat. Die Kristallform hängt von der Temperatur und Luftfeuchtigkeit ab. Man kann aber nicht sagen, in Berlin fällt der Schnee immer so und in München so, sondern die atmosphärischen Bedingungen zum Entstehungsmoment sind entscheidend. Unter der Voraussetzung, dass Schnee nicht in einer Region mit maximalem Smog und Ausstoß gefallen ist und er so auf seinem Weg durch die Atmosphäre allen Schmutz mitgebracht hat, oder auf dem Boden vom Wind Partikel angeströmt wurden, schmeckt Schnee überall gleich.“

    Wer also darauf achtet keine Verunreinigungen mit aufzunehmen, darf laut der Expertinnen bedenkenlos etwas Schnee essen. Dann hoffen wir auf einen Winter voller Schneeflöckchen, die durch eine saubere Atmosphäre geschneit kommen.

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