Kampf gegen das Baumsterben: Wie ein Biologe den Wald aufmischt
Im Naturschutzgebiet Kottenforst bei Bonn ist der Waldumbau in vollem Gang. Was hat die Wiederaufforstung gebracht? Ist das Waldsterben vorbei?
Neues Leben: Eichen kommen vergleichsweise gut mit Hitze und Trockenheit zurecht.
Frühlingsanfang im Kottenforst bei Bonn. Ein weiß gesprenkelter Blütenteppich überzieht den Waldboden. Es sind Buschwindröschen, die Licht und Wärme zwischen den noch kahlen Laubbäumen tanken. Wenige Meter entfernt hämmern zwei Spechte um die Wette. Ein knallgelber Zitronenfalter tänzelt durch die Luft. Überall regt sich Leben.
Überall? Wie vielerorts in Deutschland sind in den Hitzejahren ab 2018 auch im 40 Quadratkilometer großen Kottenforst so gut wie alle Fichten abgestorben. Anhaltende Dürreperioden hatten die Nadelbäume so sehr geschwächt, dass sie kaum noch Harz produzieren konnten. Ein gefundenes Fressen für den Borkenkäfer.
15 Prozent Waldfläche wurden zerstört. Für Klaus Striepen war schnell klar: Die Zeit der Fichte ist vorbei. Striepen ist im Landesbetrieb Wald und Holz NRW für den Waldnaturschutz der Staatswälder in Nordrhein-Westfalen zuständig. Als Leiter des Naturschutzprojekts „Villewälder“ war er nach dem großen Fichtensterben maßgeblich an der Neupflanzung im Kottenforst beteiligt.
300.000 neue Bäume im Kottenforst
Bei der Aufforstung der riesigen Kahlflächen setzte Striepen auf einen Mix heimischer Laubbäume. Naturnahe, strukturreiche Mischwälder sollen die Waldwende einläuten. Vor allem Eichen, Linden, Hainbuchen und Erlen wurden gesetzt – allesamt Arten, die vergleichsweise gut mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen „Etwa 300.000 Bäume haben wir in den vergangenen Jahren gepflanzt“, sagt Striepen. Vor allem die Eiche stand im Fokus: Der Kottenforst ist ein ausgedehntes Schutzgebiet für Eichenmischwälder.
Jetzt geht es um Hege und Schutz der Bäumchen – und um die bange Frage, ob das umgestaltete Ökosystem die Herausforderungen des Klimawandels überstehen wird. Niemand weiß, ob eine vor fünf Jahren gepflanzte Eiche den klimatischen Bedingungen in 100 Jahren standhält. „Die nächsten 20 bis 30 Jahre stehen deshalb im Zeichen der Pflege dieser Kulturen“, betont der Diplom-Biologe und spricht von einer gewaltigen Aufgabe. „Es ist nicht alles wieder gut.“
Klaus Striepen ist im Landesbetrieb Wald und Holz NRW für den Schutz der Staatswälder zuständig.
Aber es gibt Hoffnung. Manchmal wundert sich Striepen, wie gut viele der jungen Bäume sich entwickelt haben: „Das hat besser geklappt, als wir anfangs vermuteten.“ Dabei sind es nicht nur die gepflanzten Bäume, die neues Terrain erobern. An vielen Stellen überwuchern Pionierarten wie Brombeere oder Adlerfarn die einstigen Freiflächen. Mancherorts ist das problematisch, weil sie mit Jungbäumen um Licht konkurrieren.
Mut macht die Witterung der letzten Monate. Es gab viel Regen, die Böden sind gut mit Wasser gefüllt. Doch das Gefüge bleibt fragil. „Die entscheidende Phase im Wald ist von April bis in den Juni“, erklärt Striepen. Ein zu trockener Frühling könne die positive Entwicklung schnell zunichtemachen. Auch wenn die Ausgangssituation jetzt besser sei als in den Vorjahren: Grundsätzlich bräuchten Bäume mehrere Jahre, um sich von Stressperioden erholen zu können.
80 Prozent der Bäume sind krank
Stress haben die Wälder genug. Laut Bundeswaldbericht sind vier von fünf Bäumen in Deutschland krank. Das zeigt sich unter anderem an ihren lichten Kronen. Betroffen ist nicht nur die Fichte. Auch Kiefer, Buche und Eiche leiden. Noch geht das Waldsterben also weiter.
Die neuen Mischwälder sollen die Natur widerstandsfähiger machen. Sie halten auch Stürmen und Starkregen besser stand. Striepen ist sicher: „Die allgemeine Entwicklung – sprich die fortschreitende Klimaveränderung – hat klar gezeigt, dass wir mit dem Waldumbau unbedingt fortfahren müssen.“
Links die Zukunft, rechts die Vergangenheit: Eichenmischwälder sollen im Kottenforst die Fichte ersetzen.
Kann der Wald sich selbst heilen?
Bleibt die Frage, wie stark die Forstwirtschaft sich hierbei einmischen sollte. Wird der Wald vielleicht sogar schneller gesund, wenn der Mensch die Natur einfach machen lässt? „Grundsätzlich funktioniert das“, so Striepen. „Wenn Sie einen langen Atem haben, wird der Wald auch auf große Freiflächen zurückkehren.“
Der Biologe weiß: Jede Fläche nimmt eine eigene Entwicklung. Das fördert Artenvielfalt und Strukturreichtum. „Aus Sicht des Naturschutzes könnte man also argumentieren, dass wir der Natur diese Zeit geben sollten“, sagt er. „Aus ökonomischer Sicht stellt sich aber die Frage, ob wir diese Zeit wirklich haben.“
Der Wald ist eben auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Hunderttausende Arbeitsplätze hängen hierzulande an der Forstwirtschaft. Selbst bei schnell wachsenden Arten wie der Birke braucht es Jahrzehnte, bis man mit forstwirtschaftlichen Einnahmen rechnen kann.
Hat der deutsche Wald eine Zukunft?
Wie also wird der deutsche Wald in 50 Jahren aussehen? Striepen geht davon aus, dass er viel strukturreicher sein wird: „Wir werden mehr Misch- und Laubwälder haben, einen Mix aus älteren und jüngeren Beständen und offenen Flächen.“
Aus naturschutzfachlicher Perspektive sei dies positiv. „Wir werden aber auch einen größeren ökonomischen Druck auf die vorhandenen Altbestände haben“, prognostiziert er. Nicht nur die Natur steht also vor einem echten Stresstest. Auch die Forstwirtschaft muss sich neuen Herausforderungen stellen.
Was die Klimaerwärmung angeht, blickt Striepen nicht ohne Sorge auf die Zukunft der Wälder. „Es bleibt viel Hoffen und Bangen.“
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