Von den Toten auferstanden: Ein Frosch wie eine Sternennacht

Für eine kleine Gemeinschaft in Kolumbien ist der Frosch, der lange als ausgestorben galt, heilig.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 13. Dez. 2019, 13:17 MEZ
Stummelfußfrosch Atelopus aryescue
Der Stummelfußfrosch Atelopus aryescue ist in den Bergen Kolumbiens heimisch und hat eine schwarze Haut mit weißen Flecken, die an einen klaren Sternenhimmel erinnert.
Foto von Fundacion Atelopus

Dreißig Jahre lang glaubten Forscher ihn ausgestorben, aber nun hat er – zumindest im Kontext der wissenschaftlichen Forschung – erneut das Licht der Welt erblickt: der Stummelfußfrosch Atelopus arsyecue.

Mit kaum fünf Zentimetern Länge und einer glänzend schwarzen Haut mit weißen Flecken hat er sich den Augen der Forschung lange entzogen. Der kleine Frosch lebt zudem nur an einem einzigen Ort der Welt: die Sierra Nevada de Santa Marta in Kolumbien, eines der höchsten und entlegensten Küstengebirge der Erde. Der englische Trivialname der Froschart spielt auf ihre Färbung an, die an den klaren, dunklen Sternenhimmel der Region erinnert: starry night harlequin toad (dt.: Sternennacht-Harlekinfrosch).

Hunderte Frösche ziehen los, um ihre Art zu retten
Die kleinen bunten Frösche haben eine Mission: Die Rettung ihrer Art.

Als die Forscher zum ersten Mal „etwa 30 schwarzweiße Exemplare der Stummelfußfrösche auf den Felsen sahen, war ihr erster Gedanke: Oh Gott, das sieht wie der Nachthimmel aus“, erzählt Lina Valencia. Sie arbeitet für die Global Wildlife Conservation, eine gemeinnützige US-Organisation, die zusammen mit der kolumbianischen Fundación Atelopus an der Wiederentdeckung beteiligt war. Die Gemeinschaft der Arhuaco-Ureinwohner von Sogrome, die sich ihren Lebensraum mit den Fröschen teilen, lud die Wissenschaftler ein, die Art zu erforschen, und machte sie der Wissenschaft somit wieder zugänglich.

Jahrzehntelang hatten Forscher befürchtet, dass die vom Aussterben bedrohte Art bereits für immer verloren war – ein weiteres Opfer des Chytridpilzes, der zum weltweiten Amphibiensterben beiträgt. Leider trifft der Pilz die Stummelfußfrösche besonders hart, wie Forscher herausfanden. Von den 96 Arten der Gattung Atelopus gelten ganze 80 als stark gefährdet, vom Aussterben bedroht oder in der Natur ausgestorben.

„Man vermutet, dass die Stummelfußfrösche als erste Wirbeltiergattung komplett aussterben werden, wenn wir nichts unternehmen“, sagt Valencia.

Trotzdem gibt es an dieser Geschichte auch viel Positives, sagt Cori Richards-Zawacki, eine Amphibienwissenschaftlerin der University of Pittsburgh. Sie hat Stummelfußfrösche eingehend erforscht, war aber an der aktuellen Arbeit zur wiederentdeckten Art nicht beteiligt.

Beispielsweise haben Wissenschaftler in den letzten Jahren auch diverse andere Stummelfußfrösche (oder Harlekinfrösche, wie sie auch genannt werden) wiederentdeckt, darunter Atelopus varius im Jahr 2013, A. bomolocho im Jahr 2015 und A. longirostris im Jahr 2016.

Galerie: Die bunte Vielfalt bedrohter Frösche

Das mag an verstärkten Suchbemühungen liegen, sagt Richards-Zawacki. Aber es gibt auch Hinweise darauf, dass einige Populationen den Chytrid-Alptraum überstanden haben und sich nun wieder erholen.

„Das ist ziemlich aufregend“, sagt sie. „Wie eine kleine Schlagzeile in einer Reihe guter Neuigkeiten für die Frösche nach dieser Krankheit.“

„Ihre Umwelt ist wie ein Tempel“

Der zweite Akt in der Geschichte des „Sternennachtfrosches“ beginnt mit einem Mann namens Ruperto Chaparro Villafaña.

Chaparro Villafaña lebt in Sogrome. Die Gemeinde ist auf dieselben Bergflüsse angewiesen, in denen auch die Frösche zuhause sind. Der Artenschützer hat die Bemühungen der Fundación Atelopus verfolgt und wusste genau, dass in den Flüssen seiner Heimat noch Exemplare des schwarzweißen A. arsyecue leben.

Die Entscheidung, diese Information mit der restlichen Welt zu teilen, traf er aber nicht leichtfertig. Die Gemeinschaft von Sogrome hat ein ganz besonderes Verhältnis zu den Amphibien, die sie als gouna bezeichnen.

„Ihre Umwelt ist wie ein Tempel, ein heiliger Ort“, schrieb Chaparro Villafaña in einer WhatsApp-Nachricht, die Valencia übersetzte. „Wir sind fortwährend im Dialog mit ihnen, als wären sie welche von uns.“

Diese Beziehung ist sowohl spirituell als auch wörtlich zu deuten. Seit Generationen lauschen die Arhuaco dem Gesang der Frösche, der ihnen mitteilt, wann sie ihre Feldfrüchte aussäen oder spirituelle Zeremonien abhalten sollten. Sie betrachten sie Frösche außerdem als Experten für den Zustand der Umwelt – ein Konzept, das von Forschern unterstützt wird, die Frösche als Indikatoren für die Gesundheit eines Ökosystems ansehen.

„Wenn wir keine gouna sehen, heißt das, dass wir auch verschwinden“, sagt Chaparro Villafaña.

Mit vereinten Kräften für die Frösche

Die spirituellen Führer der Gemeinschaft, die mamos, segneten die Zusammenarbeit mit der Außenwelt schließlich ab. Chaparro Villafaña schickte 2016 daraufhin ein paar Fotos der Frösche an die Fundación Atelopus. Aber selbst dann dauerte es noch vier weitere Jahre der Gespräche mit den Menschen von Sogrome, ehe die Wissenschaftler ihre Erlaubnis hatten, die Frösche zu besuchen.

Als Zeichen des Vertrauens mussten sie bei ihrem ersten Besuch ihre Kameras zuhause lassen.

„Als wir die Frösche zum ersten Mal sahen, waren wir so aufgeregt und voller Hoffnung, weil Exemplare der Art überlebt hatten“, schrieb Jefferson Villalba, der Mitbegründer und Präsident der Fundación Atelopus, über WhatsApp.

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Als die Beziehung zu den Sogrome wuchs, durften die Forscher schließlich auch Fotos von den Fröschen machen und ihre Wiederentdeckung im Rahmen einer Kampagne bekanntgeben.

Parallel dazu arbeiten die Artenschutzorganisationen mit den Arhuaco zusammen und zeigen ihnen, wie sie die Frösche überwachen und Daten zur Populationsdynamik, Morphologie und anderen Faktoren sammeln können. A. arsyecue ist sogar das Zugpferd eines größeren Artenschutzprojektes namens Amas la Sierra, das mit Hilfe der Gemeinde realisiert wird.

„Unser Ziel ist es, das wissenschaftliche mit dem kulturellen Wissen der Arhuaco zusammenzuführen und so den Schutz dieser Arten sicherzustellen“, erklärt Villalba.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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