Drogenverseuchte Flüsse: Wenn aus Fischen Crystal Meth-Junkies werden
Drogen sind nicht nur für Menschen gefährlich: Der Schaden, den Rückstände illegaler Substanzen wie Methamphetamin im Wasser anrichten, ist völlig unterschätzt. Neue Forschungen zeigen den zerstörerischen Effekt, den sie auf Süßwasserfische haben können.
Eine Forelle in einem Becken in der Lombardei, Italien.
Die Verschmutzung der Gewässer auf diesem Planeten ist ein wichtiges Thema, das glücklicherweise immer mehr im Bewusstsein der Menschen ankommt. Doch nicht nur Plastikabfall schadet den Ökosystemen, auch Spuren von Methamphetamin und anderen illegalen Substanzen finden ihren Weg in unsere Gewässer. Darüber wird nicht viel gesprochen - und das ist ein Problem. Laut einer neuen Studie hat diese Tatsache beunruhigende Konsequenzen für die Tierwelt in unseren Flüssen: Fische werden drogenabhängig.
Im Mittelpunkt der Forschung zu dieser Studie standen Forellen, die in osteuropäischen Flüssen in großer Zahl vorkommen. Sie wurden im Rahmen einiger Laborexperimente Methamphetamin ausgesetzt – in einer Konzentration, wie sie in dem gereinigten Wasser von Kläranlagen zu finden ist. Bei den untersuchten Fischen konnten Symptome von Drogensucht beobachtet werden: Ihre Aktivität ließ nach und sie zeigten Entzugserscheinungen. In der freien Wildbahn könnte diese Meth-Abhängigkeit Schwierigkeiten bei der Fortpflanzung oder der Futtersuche zur Folge haben.
„Es war eine überraschende Erkenntnis, dass Meth-Konsumenten unbewusst die Fische in unseren Ökosystemen mit sich in die Sucht reißen“, erklärt Pavel Horký, Verhaltensökologe an der Tschechischen Agraruniversität in Prag.
Die synthetische Droge Methamphetamin, auch bekannt als Crystal Meth, wird als eine der größten globalen Bedrohungen für die Gesundheit eingestuft. Zu den Begleiterscheinungen des Konsums zählen laut Pavel Horký unter anderem Abhängigkeit, Stimmungsschwankungen, Paranoia, hoher Puls und Blutdruck – und in manchen Fällen könne er auch zum Tod führen. Laut einem Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogenkonsum (EMCDDA) steigt der Konsum von Methamphetamin in Europa seit Jahren stetig an. Insbesondere Tschechien, die Slowakei, Polen und die Türkei sind betroffen, doch auch Finnland und der Osten Deutschlands haben mit steigenden Zahlen zu kämpfen. Im Rahmen einer Abwasserstudie im Jahr 2020 wurden hier hohe Spuren der Substanz in den entnommenen Proben festgestellt. Deutschland zählt somit inzwischen zu den Ländern mit dem höchsten Meth-Konsum in Europa.
Hat die Droge den Stoffwechsel des Körpers durchlaufen, wird sie mit Urin und Kot ausgeschieden. Zwar sind Kläranlagen in der Lage, die meisten Stoffe aus dem Abwasser zu filtern, bevor das gereinigte Wasser dem Kreislauf wieder zugeführt wird, doch bei einigen gelingt das nicht rückstandsfrei. Unter anderem bei Methamphetamin.
Die neue Studie, die im „Journal of Experimental Biology“ erschien, baut auf vorherigen Erkenntnissen zu den negativen Effekten auf, die menschengemachte Wirkstoffe im Abwasser auf die Ökosysteme haben. Ob Kokain oder Heroin, Psychopharmaka oder die Antibabypille: Sie alle hinterlassen Spuren in unseren Flüssen und schaden vor allem den Fischen, die darin leben. Da Forellen für viele Jägerspezies wichtige Beutetiere sind, haben Änderungen in ihrem Verhalten und ihrer Population laut Pavel Horký das Potential, sich auf die gesamte Nahrungskette auszuwirken.
Experimente mit Meth und Forellen
Für ihre Untersuchungen hielten Horký und seine Kollegen 60 Forellen aus einem Zuchtbetrieb über zwei Monate lang in Wasser, das mit Methamphetamin angereichert war. Eine Kontrollgruppe von weiteren 60 Forellen schwamm in einem drogenfreien Becken. Um die realen Gegebenheiten exakt nachzuahmen, entsprach der Drogengehalt des Wassers genau dem, den die Wissenschaftler zuvor in dem gereinigten Wasser von Kläranlagen in Tschechien und der Slowakei gemessen hatten.
Nachdem sie das Methamphetamin-Becken verlassen hatten, zeigten die Fische eine stark verringerte Aktivität. Das Wissenschaftsteam begründet das mit dem Stress des Drogenentzugs. Analysen des Hirngewebes der Fische zeigte außerdem, dass sich die Tiere am wenigsten bewegten, bei denen die höchste Konzentration von Methamphetamin im Gehirn gemessen wurde.
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In einem anderen Experiment ließen die Forscher den Forellen beider Gruppen die Wahl zwischen zwei Wasserläufen: einer war mit Methamphetamin angereichert, der andere nicht. Die Fische der Methamphetamin-Gruppe bevorzugten das angereicherte Wasser – insbesondere in den vier Tagen nachdem sie dem Drogen-Becken entnommen worden waren. Je mehr Zeit verging, desto weniger von ihnen wählten den Wasserlauf mit Methamphetamin, bis das Verhältnis sich schließlich dem der Kontrollgruppe angeglichen hatte. Laut Horký zeige das deutlich, dass die Fische eine Abhängigkeit von der Substanz entwickelt und sich auf Entzug befunden hätten.
Süßwasser-Ökosysteme in Gefahr
Emma Rosi ist Ökologin am Cary Institute of Ecosystem Studies an der University of Georgia und war nicht an den Forschungen beteiligt. Ihrer Meinung nach weist die Studie auf ein Problem hin, das nicht genug Beachtung findet: Wie Drogen der Natur schaden können.
„Wassertiere reagieren anders auf Antidepressiva als Menschen, doch das bedeutet nicht, dass die Medikamente auf sie keinen Effekt haben“, erklärt Rosi.
Wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass das Kokain in europäischen Flüssen Auswirkungen auf den Fortpflanzungsprozess des vom Aussterben bedrohten Aals haben könnte. Im kanadischen Ontario wurde beobachtet, dass manche Männchen der Fettköpfigen Elritze, einer Karpfenart, keine Hoden entwickelten und stattdessen Eier produzierten. Der Grund: Das Wasser, in dem sie lebten, wies einen hohen Gehalt synthetischen Östrogens aus Antibabypillen auf. Auch in anderen Studien wurde von verweiblichten Fischen berichtet, ebenso wie von unnatürlichen Zwitterformen bei Fröschen, begründet durch chemische Rückstände im Abwasser.
Doch nicht nur körperliche Veränderungen bieten Grund zur Sorge. Es ist außerdem denkbar, dass drogenabhängige Wassertiere ihren Lebensraum in die Nähe von Abwasserrohren und Abflüssen verlagern, um ihre Sucht zu befriedigen. „Das würde die Ökologie der Systeme komplett durcheinanderbringen“, warnt Matthew Parker, Verhaltensneurologe an der University of Portsmouth in England. Fische transportieren bei der Futtersuche und über ihre Ausscheidungen Nährstoffe in alle Ecken ihres Lebensraums. Wenn sie sich nicht mehr von der Stelle bewegen, droht dieses System aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Die Forschung im Labor sei ein notwendiger Schritt gewesen, um die möglichen Effekte der chemischen Stoffe unter kontrollierten Umständen zu untersuchen. Doch welche Auswirkungen sie tatsächlich auf das Verhalten der Fische in den Flüssen hätten, sei noch nicht geklärt, so Emma Rosi. In Abwässern seien neben Methamphetamin noch eine enorme Bandbreite anderer Schad- und Nährstoffe enthalten, die alle Auswirkungen auf die Tierwelt im Wasser hätten.
Sie fügt hinzu, dass die Ergebnisse trotzdem von Regierungen und Naturschutzgruppen zum Anlass genommen werden sollten, sich mehr um die Reinheit der Flüsse auf dieser Welt zu bemühen. Ihr zufolge sollen mehr Tests durchgeführt und Wege gefunden werden, wie auch Schadstoffe aus Medikamenten und illegalen Substanzen aus dem Wasser gefiltert werden können.
„Kläranlagen erweisen der Gesellschaft einen unglaublichen Dienst“, betont Emma Rosi. „Wir müssen diese Arbeit unterstützen, indem wir mehr in Techniken investieren, mit deren Hilfe wir mit den Abfallstoffen in unserem Wasser besser umgehen können.“
Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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