Ökologisch bauen: Wie ein Dorf aus Plastikmüll entsteht

Am Rande eines Regenwaldes auf Sumatra will eine junge Umweltschutzorganisation aus Koblenz das größte Recyclingdorf der Welt bauen. Mitgründerin Leonie Deimann über Häuser aus Plastikflaschen, neugierige Elefanten und Auswege aus dem Müllproblem.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 6. Juli 2022, 13:11 MESZ
Das Eingangstor zum Plastik-Recyclingdorf auf Sumatra

Willkommen im Recyclingdorf auf Sumatra: Das Eingangstor zum Grundstück

Foto von Leonie Deimann

Eine Kunststoffflasche voller Plastikmüll: Für vier junge Menschen aus dem Rheinland ist das mehr als Abfall. Es ist ein wertvoller Baustoff. Auf Sumatra wollen sie daraus das größte Recyclingdorf der Welt bauen – mit einem Marktplatz, einem Bildungszentrum und vielem mehr. Dazu haben sie eine Naturschutzorganisation gegründet und ein besonderes Pfandsystem entwickelt.

Project Wings heißt die NGO mit Sitz in Koblenz. Der Großteil der Arbeit wird über private Spenden und Projektförderer finanziert. Mit dem Bau des drei Hektar großen Recyclingdorfs in der Ortschaft Bukit Lawang will das Team nicht nur einen Beitrag gegen das Plastikmüllproblem in Indonesien leisten. Die lokale Bevölkerung soll auch Geld damit verdienen. Mehr als 70 feste Jobs hat Project Wings dort nach eigenen Worten geschaffen.

Ecobricks: „Ökoziegel“ aus Plastikmüll

Viele weitere Einheimische verdienen sich ein Zubrot, indem sie Plastikmüll sammeln und daraus Ecobricks herstellen. Ecobricks – das sind „Ökoziegel“ aus PET-Flaschen, die mit gereinigtem und getrocknetem Kunststoffabfall vollgestopft werden. Für jeden Ecobrick zahlt Project Wings umgerechnet etwa 35 Cent.

Die Plastikbausteine werden in Mauern und Hauswände eingearbeitet und mit Lehm verputzt. Das tragende Gerüst besteht in der Regel aus Bambus. Auf diese Weise entstehen komplette Gebäude – und schließlich ein ganzes Dorf. Rund 250 Tonnen Müll sollen so wiederverwertet werden. Müll, der sonst einfach in der Natur landen würde. Eine funktionierende Müllabfuhr gibt es laut Project Wings in Bukit Lawang nicht.

Eine Wand aus Plastikflaschen: Leonie Deimann bei der Arbeit.

Foto von Leonie Deimann

Leonie Deimann gehört zum vierköpfigen Gründungsteam von Project Wings. Wegen der Pandemie konnte sie das Projekt lange Zeit nur aus der Ferne begleiten. Umso größer ist ihre Begeisterung, jetzt endlich wieder persönlich in Bukit Lawang mitanpacken zu können.

BELIEBT

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    Leonie, erstmals seit zwei Jahren konnte das deutsche Projektteam im Juni wieder nach Sumatra reisen. Was hat sich seitdem im Recyclingdorf getan?

    Riesige Gebäude, die im Kern aus tausenden Ecobricks bestehen, stehen auf einem Grundstück, auf dem noch vor zweieinhalb Jahren ein paar Kühe grasten. Endlich sehen wir das Ergebnis unserer Arbeit. Der Bio-Garten, die vielen verschiedenen Obstbäume, die Ecobrick-Gebäude – das alles sind Dinge, die in den letzten Jahren hier entstanden sind. Wenn ich überlege, dass ich den Großteil des indonesischen Teams bis zum diesjährigen Besuch wegen Corona nur über Chatmessenger und Zoom-Gespräche kannte, empfinde ich tiefe Dankbarkeit.

    Wie stehen die Einheimischen zu diesem Dorf aus Plastikmüll?

    Wir haben eine Familie besucht, die seit vier Jahren an unserem Ecobrick-Pfandsystem teilnimmt. Wahnsinn, dass unsere damalige Idee schon seit so langer Zeit ein Einkommen für Menschen auf der anderen Seite der Erde schafft. Die Frau heißt Kuatik, ist 58 Jahre alt und Mutter von drei Töchtern. Sie lud uns zu sich nach Hause ein, damit wir uns selbst ein Bild machen konnten. So saßen wir also in ihrem Wohnzimmer. Eine Couch, ein Motorroller und zwei kleine Tische, auf denen ein alter Röhrenfernseher und ein Radio standen, schmückten den sonst recht dunklen Raum. Kuatik saß neben einem großen Haufen gereinigtem Plastikmüll. Den Müll sammelt sie ein, wenn sie durch das Dorf läuft. Manchmal findet sie aber auch etwas in dem kleinen Bach vor ihrer Haustür.

    Galerie: Das Recyclingdorf auf Sumatra

    Sammelt Kuatik den Plastikmüll, um der Umwelt zu helfen oder um Geld damit zu verdienen?

    Ihre Antwort machte mich wirklich glücklich, denn genauso sollte es sein: Natürlich ist der ökonomische Faktor des Ecobrick-Pfandsystems super hilfreich. Doch dass sie gleichzeitig die Umwelt von Plastik befreien kann, ist definitiv ein wichtiger Punkt für Kuatik.

    Wie umweltfreundlich ist denn die Ecobrick-Bauweise und wie haltbar sind die Plastikbausteine?

    Unser Gründungsteam – also Marc Helwing, Basti Keilholz, Erich Stieb und ich – wären ohne unseren Bauingenieur David Heitmann aufgeschmissen. David ist die absolut perfekte Ergänzung und der Erschaffer unserer Ecobrick-Bauweise. Dank der Lehmwände sind unsere Ecobricks komplett von der Umwelt isoliert. Bei Bedarf kann man sie eines Tages auch wieder aus der Wand holen. Wir haben das probeweise an unserem Sanitärhaus ausprobiert, um den Rückbau zu testen – mit einem Hammer und einem Bambuskeil bewaffnet. Stückweise bröckelte der Lehm heraus und die Ecobricks fielen aus der Wand. Nach zwei Stunden Arbeit stand nur noch das tragende Bambusgerüst. Wow! Das war tatsächlich einfacher als gedacht. Die Ecobricks können wieder verbaut werden. Auch den alten Lehm haben wir mit Kuhdung, Wasser, Reishülsen und Lemongras neu angerührt und wiederverwendet.

    Kuatik stellt aus gereinigtem Plastik einen Ecobrick her.

    Foto von Leonie Deimann

    Leonie Deimann erklärt, das Recyclingdorf in Bukit Lawang solle vor allem eine Bildungs- und Begegnungsstätte sein. Menschen wohnen dort nicht. Dafür gibt es neben dem im Bau befindlichen Marktplatz und der Bildungsstätte für Kinder und Erwachsene unter anderem auch eine Sportanlage und ein Sanitärhaus. Coworking-Büros, Workshops und Seminare für Touristen sollen den Einheimischen zusätzliches Geld einbringen. 2019 wurde mit dem Bau begonnen.

    Viele Unterstützer und Mitstreiterinnen haben sich seitdem dem Projekt angeschlossen – durch Spenden oder durch tatkräftige Mithilfe. Auf Dauer soll sich das Dorf aber selbst tragen und von den Menschen vor Ort weitergeführt werden. Darüber hinaus fördert Project Wings auch Aufforstungsarbeiten im naheliegenden Regenwald.

     

    Die Hauswände bestehen aus einem Bambusgerüst, Ecobricks und Lehm.

    Foto von Leonie Deimann

    Bukit Lawang liegt am Rande des Gunung-Leuser-Nationalparks – einem der größten Naturreservate in Indonesien. Können Mensch und Natur dort überhaupt im Einklang leben?

    Tatsächlich hat sich der Human-Animal-Conflict in den letzten zwei Jahren zunehmend verschärft. Seit Corona laufen immer weniger Touristen durch den Regenwald, so dass sich Orang-Utans, Tiger und Elefanten immer weiter aus dem Dschungel trauen. Denn wo Menschen leben, gibt es jede Menge verlockende Nahrung in Form von Vieh und Früchten. Dass das zu Konflikten führt, liegt nahe. Kein Wunder also, dass es zu immer schwerwiegenderen Übergriffen auf die Tierwelt kommt. Die Einheimischen nutzen zum Teil Fallen und Schusswaffen, um ihr Hab und Gut zu verteidigen.

    Deshalb hat Project Wings eine Ranger-Patrouille gegründet. Ihr finanziert zwei Ranger-Teams, die regelmäßig in der Zone zwischen Nationalpark und Siedlungsraum patrouillieren, um beispielsweise Fallen zu entfernen und die Bevölkerung für den Naturschutz zu sensibilisieren. Geht das Konzept auf?

    Auf einer sechsstündigen Tour durch den Gunung-Leuser-Nationalpark habe ich die Ranger gefragt, wie sie gegen den vorherrschenden Konflikt vorgehen. Sie verteilen Feuerwerkskörper und rauchbildende Kräuter an die Farmer, um sie für harmlose Vertreibungsmethoden gewinnen zu können. Manchmal schließen sich auch Rangergruppen zusammen, um beispielweise Elefantenherden mit Hilfe von Geräuschen über mehrere Hektar verteilt zurück in den sicheren Nationalpark zu treiben. Außerdem erhalten die Menschen bei schweren finanziellen Verlusten eine Entschädigung. Auch wenn unser Fokus auf dem Aufbau des Recyclingdorfs liegt, ist mir persönlich die Arbeit unserer Ranger das wohl wichtigste Anliegen. Die brummende Artenvielfalt, die üppigen Berge, die verschlungenen Pflanzen … ich habe mein Herz hier schon vor langer Zeit verloren.

     

    So viel Plastikmüll verschmutzt unseren Planeten

    Glaubst du, dass euer Baukonzept auch anderswo Schule machen könnte? Werden Gebäude aus Plastikmüll eines Tages vielleicht sogar zum Siedlungsalltag gehören?

    Wir haben nun den letzten Schritt für ein Handbuch abgeschlossen, das wir im Auftrag einer Stiftung anfertigen sollten. Bald kann unser innovatives und doch simples Baukonzept überall auf der Welt adaptiert werden, um Plastikmüll einen neuen Nutzen zu geben, die Umwelt von Müll zu befreien und nachhaltige Gebäude aus lokalen Materialien zu erbauen. Hammer! Denn erst, wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können wir

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