10 Jahre nach Deepwater Horizon: Die Umweltfolgen des Öls

Manche Tierarten wie der Braunpelikan haben sich von der Katastrophe erholt. Viele langlebige Meerestiere werden allerdings noch etliche Jahre darunter leiden.

Von Joan Meiners
Veröffentlicht am 20. Apr. 2020, 17:02 MESZ
Pelikan verklebt mit Öl

Das Gefieder dieses Braunpelikans auf East Grand Terre Island in Louisiana ist von Öl verklebt. 4. Juni 2010.

Foto von Win McNamee, Getty Images

NEW ORLEANS, USA Am 20. April 2010 kam es auf der BP-Ölbohrplattform Deepwater Horizon zu einer Explosion, in deren Folge etwa 800 Millionen Tonnen Rohöl in den Golf von Mexiko strömten. Es war die größte Ölpest, die sich jemals in US-Gewässern ereignet hatte, und ist bis heute eine der schlimmsten Umweltkatastrophen der Geschichte.

Elf Arbeiter der Ölbohrplattform verloren bei dem Unfall ihr Leben – ebenso wie Millionen von Meeressäugern, Meeresschildkröten, Vögeln und Fischen. Während die Welt hilflos zusah, floss das Öl 87 Tage lang in einen der artenreichsten Meereslebensräume der Erde.

Zehn Jahre später kämpfen viele Arten wie Tiefseekorallen, Eistaucher und Umberfische noch immer mit den Folgen. Ihr Bestand ist weiterhin niedriger als vor der Katastrophe. Im Gegensatz dazu haben sich einige Bewohner des Golfs gut erholt, unter ihnen die Menhaden und der Braunpelikan – der offizielle Vogel des US-Bundesstaats Louisiana.

Boote schieben im Mai 2010 das Öl, das nach der Explosion auf der Deepwater Horizon ausgetreten ist, mit saugfähigen Ölsperren zusammen.

Foto von Tyrone Turner, Nat Geo Image Collection

Wissenschaftlern zufolge ist es noch zu früh, um die Auswirkungen der Ölpest auf langlebigere Arten wie Delfine, andere Wale und Meeresschildkröten genau zu bestimmen.

Vorläufige Aussagen lassen sich dennoch treffen: „Wenn man ein Meeressäuger ist, der zur Zeit der Ölpest schon gelebt hat, sieht es laut unseren bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht gut für einen aus“, sagt Cynthia Smith, eine Tierärztin der National Marine Mammal Foundation. „Unsere Hoffnung sind die Tiere, die damals noch nicht geboren waren“, sagt Smith, die damals als Tierpflegerin zum Ort des Geschehens gereist war.

Smith zählt zu den zahlreichen Wissenschaftlern, deren Karriere durch die Ölpest definiert wurde: Finanzielle Mittel aus dem Gulf of Mexico Energy Security Act, von der Gulf of Mexico Research Initiative und aus der 16 Millionen Dollar schweren Einigung zwischen BP und der US-Regierung haben es einer Legion von Forschern ermöglicht, Langzeitprojekte durchzuführen, um die Auswirkungen der Ölpest auf die Flora und Fauna im Golf von Mexiko zu untersuchen.

BELIEBT

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    Eine Unechte Karettschildkröte frisst am 5. Mai 2010 eine ölverseuchte Portugiesische Galeere im Golf von Mexiko.

    Foto von Carol Guzy, The Washington Post/Getty Images

    Viele Tierarten lassen sich allerdings nur schwer erforschen. Nach über einem Jahrzehnt genauer Beobachtungen hat Smith erst jetzt das Gefühl, dass sie und ihre Kollegen sich ein gutes Bild von der Situation der Delfine im Golf machen können. Für die berühmten Wale sieht es nicht gut aus.

    In den ersten Monaten nach der Ölpest starben etwa tausend Delfine, die Giftstoffe aus dem Öl aufgenommen hatten. Viele andere sind seither anscheinend krank.

    Aktuelle Forschungen – die bisher noch nicht in einer von Fachleuten geprüften Publikation erschienen sind – offenbarten, dass bei den Delfinen in der stark betroffenen Barataria Bay von Louisiana nur 20 Prozent der Schwangerschaften erfolgreich sind. In Regionen, die von der Ölpest nicht betroffen waren, sind es 83 Prozent. Diese Zahl hat sich seit den ersten Ergebnissen aus dem Jahr 2015 nicht verändert.

    Zehn Jahre nach der Katastrophe verzeichnet Smith bei den Delfinen ein höheres Maß an reproduktiven Störungen, Herz- und Lungenkrankheiten, Störungen der Stressreaktion und Todesfällen.

    Das interessante daran ist laut Smith, dass diese Symptome mit den häufigsten Gesundheitsproblemen eines anderen großen Säugetiers übereinstimmen, das von der Ölpest betroffen war: dem Menschen. Zwei aktuelle Studien, die 2018 erschienen, konnten eine Beeinträchtigung der Herz- und Lungenfunktion bei den Reinigungskräften und Atemprobleme bei den Angestellten der Küstenwache feststellen, die mit dem Öl in Kontakt gekommen waren.

    „Man betrachtet einen Delfin nicht unbedingt als repräsentativ für einen selbst oder einen Menschen als repräsentativ für einen Delfin, aber unsere Leben überschneiden sich“, sagt Smith. „Wir teilen uns diesen Raum und daraus lässt sich eine Menge lernen.“

    Lauschen auf Lebenszeichen

    Kaitlin Frasier erinnert sich an jenen Tag im Jahr 2010, als ihr Doktorvater ihr riet, ihre Karriere auf die aktuelle Deepwater-Horizon-Katastrophe auszurichten.

    Damals hätte sich Frasier nicht im Traum vorstellen können, wohin sie diese Reise führen würde. Heute ist sie eine Projektwissenschaftlerin am Scripps Institution of Oceanography der University of California, San Diego. Die letzten zehn Jahre hat sie damit verbracht, im Golf nach Lebenszeichen zu lauschen, genauer gesagt nach dem charakteristischen Klicken und Klacken der Echoortung von Meeressäugern.

    „Wir können nicht wirklich auf den Meeresboden blicken, deshalb wissen wir auch nicht wirklich, wie genau die Wale [durch das Öl] beeinträchtigt wurden“, sagt Frasier. Ihr zufolge lasse sich nur schwer sagen, ob Öl aus den Sedimenten wieder in das Wasser gelangt und dort die Nahrung der Delfine anreichert.

    Tiefseekorallen im Golf von Mexiko – hier zu sehen sind Paragorgia arborea und Isididae – waren bereits vor der Ölpest gut erforscht. Deshalb können Wissenschaftler besser abschätzen, wie der Vorfall sie geschädigt hat.

    Foto von the NOAA Office of Ocean Exploration and Research, Gulf of Mexico 2014.

    Im Golf von Mexiko leben 21 Arten von Meeressäugern. Die meisten davon bekommen Menschen nur selten zu Gesicht – deshalb müssen die Forscher stattdessen gut zuhören. Die Laute, die diese Tiere von sich geben, offenbaren, welche Arten auch Jahre nach der Ölpest noch aktiv sind – und welche kaum noch zu hören sind.

    Eine Art, die Frasier immer seltener zu Gehör bekommt, ist der Schlankdelfin.

    „Auf gewisse Weise überrascht das, weil sie so allgegenwärtig waren“, sagt Frasier. „Die Kollegen, die die visuelle Beobachtung durchführen, haben sie als Ratten bezeichnet, weil sie den gesamten Golf bevölkert haben. Jetzt bekommen wir immer weniger Meldungen von ihnen in unseren akustischen Daten.“

    A Kemp's ridley sea turtle digs a nest on a beach in Rancho Nuevo, Mexico. This spill seems to have thwarted the critically endangered species' recovery.

    Foto von Sandesh Kadur, Nature Picture Library

    Für viele Arten gibt es keine so eindeutigen Ergebnisse. Teils liegt das daran, dass Forscher nur wenig über die Gewohnheiten der Meeressäuger vor der Ölpest wissen. Daher ist es nicht einfach, anhand der aktuellen Daten Veränderungen festzustellen.

    Ein Beispiel dafür ist der kaum erforschte Kleine Pottwal: Es ist unklar, wie die kurzen, hochfrequenten Klicks zu interpretieren sind, die Frasier ihnen zuordnen kann. Und die größeren Pottwale, die längere und niederfrequentere Klicks von sich geben, wurden in der Nähe des Gebiets, das vom Öl verseucht wurde, nicht mehr gesichtet.

    Das kann allerdings auch schlicht bedeuten, dass sie weitergezogen sind.

    Meeressäuger sind wichtige Indikatoren für die allgemeine Gesundheit des Meeres. Ihre Erforschung kann Wissenschaftlern deshalb viel über ihren Lebensraum verraten.

    „Wir haben all diese unterschiedlichen Puzzleteile, die sich aber nur schwer zusammensetzen lassen“, so Frasier.

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    Am 6. Januar 2018 stieß im Ostchinesischen Meer ein Öltanker mit einem Frachtschiff zusammen. Der Öltanker hatte mehr als 150.000 Tonnen Kondensat an Bord. Anders als normales Öl schwimmt Kondensat nicht auf dem Wasser und sinkt auch nicht zu Boden.

    Die stummen Methusalems

    Einige der langlebigsten Tiere sitzen still und regungslos am Meeresboden.

    Der Meeresbiologe Peter Etnoyer vom Hollings Lab der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) erforscht Tiefseekorallen. Einige von ihnen wuchsen vor der Katastrophe in der Nähe des Bohrturms der Deepwater Horizon. Nach der Ölpest konnten die Forscher an der Hälfte der untersuchten Korallenkolonien Schäden feststellen.

    „Wir wissen nicht, wie lange es dauern wird, bis sich diese Korallenkolonien wieder erholt haben“, sagt Etnoyer. „Sie wachsen sehr, sehr langsam. Die beschädigten, die wir gefunden haben, sind Jahrzehnte oder Jahrhunderte alt.“

    Korallen sind wichtige Lebensräume für andere Arten wie Garnelen, Krabben, Zackenbarsche und Schnapper. Und weil sie genau wie Bäume Wachstumsringe haben, fungieren Korallen „als kleine Umweltmonitore, die die Umweltbedingungen über die Zeit hinweg aufzeichnen“, so Etnoyer.

    Galerie: Wildnis oder Öl?

    Sein Team stellt sich jetzt auf künftige Katastrophen ein. Es kartiert die Kolonien der Tiefseekorallen und legt eine Korallendatenbank an, die bisher schon mehr als eine Million Einträge hat. Außerdem haben die Forscher einen Siebenjahresplan aufgestellt, um die Kolonien wieder „aufzuforsten“. Dafür werden Taucher oder ferngesteuerte Tauchfahrzeuge ein paar hundert Korallen klonen oder transplantieren.

    „Das wird das erste Mal, dass eine Transplantation dieser spezifischen Korallen im industriellen Maßstab versucht wird“, erzählt er.

    Rückschlag für Schildkröten

    Der Golf von Mexiko beheimatet fünf Arten von Meeresschildkröten, die alle durch den Endangered Species Act der USA geschützt sind.

    Lederschildkröten und Echte Karettschildkröten sind in den tieferen Gewässern anzutreffen, während sich Unechte Karettschildkröten, Grüne Meeresschildkröten und Atlantik-Bastardschildkröten in den küstennahen Bereichen aufhalten. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 waren von den mindestens 402.000 Schildkröten, die von der Ölkatastrophe betroffen waren, 51 Prozent Atlantik-Bastardschildkröten – die kleinste und am stärksten gefährdete Art.

    Suppenschildkröte genießt eine Quallenmahlzeit

    Vor der Ölpest wurde für den Bestand dieser Schildkrötenart ein Wachstum von 19 Prozent pro Jahr prognostiziert. Stattdessen sank die Zahl der Gelege an den Stränden des Golfs – dem wichtigsten Nistort für die Tierart – zwischen 2009 und 2010 um 35 Prozent. Ein erneuter Rückgang war 2013 zu beobachten, wie es in einer Studie von 2016 heißt. Darin fanden sich außerdem Hinweise darauf, dass weibliche Atlantik-Bastardschildkröten Probleme haben, ein für die Fortpflanzung notwendiges Körpergewicht zu halten. Ähnliches gilt für den Gesundheitszustand der Tiere.

    Infolge der Ölpest wurde 2014 ein neuer Plan für die Widerherstellung des Bestands der Atlantik-Bastardschildkröte unterzeichnet. Infolgedessen wurden neue geschützte Strandbereiche in Texas und Mexiko deklariert. Außerdem mussten Garnelenfischereien im Golf bestimmte Fangvorrichtungen nutzen, die verhindern, dass Schildkröten in den Schleppnetzen stecken bleiben.

    Hoffnung für Vögel

    Vögel zählten zu den am stärksten betroffenen Opfern der Ölpest, sagt Erik Johnson, der Direktor für den Vogelschutz von Audubon Louisiana.

    „Wir wissen, dass die Zahl der Betroffenen Vögel irgendwo zwischen 100.000 und einer Million liegt. Die tatsächliche Zahl werden wir leider nie erfahren“, sagt er.

    Zu dieser Statistik zählen Eistaucher, Basstölpel, Ohrenscharben, Königsseeschwalben, Wilson-Regenpfeifer, Schwarzmantel-Scherenschnäbel und Strandammern – um nur ein paar zu nennen. Ebenfalls betroffen: Bis zu 32 Prozent der Aztekenmöwen und bis zu einem Viertel aller Braunpelikane.

    Viele Vögel, die nicht direkt durch ihr ölverklebtes Gefieder starben, erkrankten seither an durch das Öl verursachten Krebs. Andere zeigen Fortpflanzungsstörungen und Probleme bei der Regulierung ihrer Körpertemperatur durch Schäden am Gefieder, wie eine Studie von 2020 zeigte.

    Aber obwohl Vögel insgesamt am stärksten betroffen waren, erholten sie sich in einigen Fällen auch wieder am schnellsten. Das Geld aus der Schlichtung zwischen BP und der US-Regierung wurde genutzt, um Louisianas Queen Bess Island als Lebensraum für Vögel zu sanieren. Das Projekt wurde im vergangenen Februar abgeschlossen und gilt als großer Erfolg für die Braunpelikane. Bis zu 20 Prozent der Population des Bundesstaats nisten dort bereits gemeinsam mit Silberreihern, Rosalöfflern, Königsseeschwalben und Dreifarbenreihern.

    Fisch in Öl

    Was für die Vögel ein herber Rückschlag war, war für einige Fische zumindest zeitweise ein Glücksfall: Forscher vermuten, dass der Mangel an Vögeln über dem Golf von Mexiko der Grund für die Bestandexplosion ist, die bei einigen Fischarten nach der Ölpest beobachtet wurde.

    In den Jahren nach dem Ereignis gab es beispielsweise doppelt so viele Menhaden der Art Brevoortia patronus wie in den Dekaden davor. Die Abwesenheit zahlreicher fischfressender Vögel war wahrscheinlich der Grund für diesen Anstieg. 

    Untamed mit Filipe Deandrade: Delfine

    Andere Fischarten haben unter dem Rohöl gelitten, beispielsweise die Atlantischen Störe des Golfs. Studien zu den wirtschaftlich wertvollen Roten Trommlern und Umberfischen der Art Cynoscion nebulosus stellten eine verringerte Reproduktionsrate in den ölverseuchten Gebieten fest. Auch Jahre nach der Ölpest ist das in der Umwelt verbliebene Öl für die Fischlarven noch giftig.

    Für aktuelle Forschungen wurden 2.500 verschiedene Fische aus dem gesamten Golf getestet: Bei allen 91 getesteten Fischarten fand man Hinweise auf Kontakt mit Öl, was vermuten lässt, dass die Folgen der Ölpest in der Region noch immer nachwirken.

    Was bringt die Zukunft?

    Es könnte noch Jahrzehnte dauern, bis wir vollumfänglich verstehen, wie sich das Öl auf die kommenden Generationen von Walen, Korallen, Schildkröten, Vögeln, Fischen und anderen Tieren auswirkt.

    Für Smith, Frasier, Etnoyer und andere Wissenschaftler, die die Folgen der Ölkatastrophe untersuchen, bestimmte dieses Ereignis ihr Berufsleben wie kein anderes. Sie werden sich noch viele Jahre lang dem Zustand des Ökosystems im Golf von Mexiko widmen – insbesondere, weil solche Ökosysteme weiterhin gefährdet sind.

    Galerie: Das Leben unter dem Meer

    Im Mai 2019 hob das US-Innenministerium Sicherheitsbestimmungen für Offshore-Bohrungen auf, die erlassen wurden, um ein zweites Deepwater Horizon zu verhindern. Gleichzeitig wurden aber auch Schutzgebiete im Golf ausgeweitet, unter anderem das Flower Garden Banks National Marine Sanctuary.

    Derweil wird Kaitlin Frasier an ihrem Schreibtisch weiter auf die zwitschernden Laute der Rundkopfdelfine und die langen, tiefen Laute der Pottwale lauschen.

    „Wenn ich eine Sache tun könnte, dann würde ich die Leute mit raus in den Golf nehmen und ihnen die ganzen Tiere dort zeigen“, sagt Frasier. „Die meisten Menschen werden dazu nie die Gelegenheit bekommen, aber es ist einfach unglaublich.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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