Bedrohen warme Winter die heimische Tierwelt?

Die Winter in Deutschland werden immer milder. Für manche Tierarten ist das ein Segen, für andere ein Fluch.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 11. Dez. 2023, 09:18 MEZ
Ein Eisvogel durchbricht mit Fisch im Schnabel die Wasseroberfläche

Schillernder Fischjäger: Dem Eisvogel kommen unvereiste Gewässer gelegen.

Foto von Adobe Stock

Der Klimawandel wirbelt unsere Ökosysteme schon heute spürbar durcheinander. Zunehmend heißere Sommer und wärmere Winter wirken sich sehr unterschiedlich auf die Tierwelt aus. Während die Erderwärmung einigen Arten zugutekommt, brauchen andere kalte Temperaturen, um den Winter wohlbehalten zu überstehen.

Grundsätzlich hat die Natur im Laufe der Evolution gelernt, sich an schwankende Umweltbedingungen anzupassen. Einmalige Wetterumschwünge schaden ihr langfristig nicht. Wenn sich die Jahreszeiten aber innerhalb weniger Jahre klimatisch deutlich verändern, kann das die fragilen Lebensgemeinschaften im Tier- und Pflanzenreich empfindlich treffen. 

Wandelt sich das Klima, ändern sich die Nahrungsbeziehungen, Verhaltensmuster und Fortpflanzungszyklen. Das zieht sich dann wie ein Domino-Effekt durch die Ökosysteme. „Der Klimawandel hat für die Natur sehr unterschiedliche Auswirkungen“, erklärt Stefan Bosch vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). 

Klimawandel: Die Vogelwelt als Indikator

Besonders gut lässt sich das bei den Vogelbeständen beobachten. Sie verändern beispielsweise ihr Zugverhalten und ihren Fortpflanzungszyklus. Der Kuckuck etwa kehrt als Langstrecken-Zugvogel erst Mitte April aus seinem Winterquartier zurück. Weil aber typische Wirtsvögel wie der Teichrohrsänger, in dessen Nester der Brutparasit seine Eier legt, wegen der nun wärmeren Frühjahre eher zu brüten beginnen, wird es für den Kuckuck immer schwieriger, noch Nester mit Eiern zu finden. Forschende gehen davon aus, dass er viele angestammten Brutgebiete verlassen und sich immer weiter nach Norden zurückziehen wird.

Andere typische Zugvögel wie Kranich oder Weißstorch verbringen die Winter zunehmend in heimischen Gefilden. Der Nabu beobachtet schon seit einigen Jahren eine „gewisse Zugfaulheit“. Wird es den Vögeln doch noch zu kalt, fliegen sie kurzfristig in mildere Regionen. Statt in Afrika endet die Reise dann aber oft schon in Frankreich.

„Die Verbreitungsareale und Artenzusammensetzungen von Gebieten verändern sich kontinuierlich durch den Klimawandel“, sagt Bosch. Vor allem Spezialisten macht die Klimaveränderung zu schaffen. Sie besiedeln nur ganz besondere Gebiete, zum Beispiel das Hochgebirge oberhalb der Baumgrenze. Kälteliebende Vögel wie das Alpenschneehuhn bekommen dann ein Problem, weil ihnen die Lebensräume buchstäblich unter den Füßen wegschmelzen. 

Galerie: Deutschlands häufigste Wintervögel

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    Wärmeliebende Vögel wie Bienenfresser oder Wiedehopf haben Bosch zufolge dagegen gute Karten. Sie profitieren von Hitzesommern und milden Wintern. Fischjägern wie dem Eisvogel kommen unvereiste Gewässer gelegen. Grundsätzlich beobachten Biologinnen und Biologen, wie sich mediterrane Arten im Zuge milderer Winter immer weiter nördlich ansiedeln – darunter auch so markante Insekten wie die Gottesanbeterin.

    Zu den Gewinnern den Klimawandels zählt auch der Borkenkäfer, der die Fichtenbestände in den letzten Jahren stark geschädigt hat. Fichten besiedeln von Natur aus hochgelegene, kältere Regionen. Durch die vergangenen Hitzesommer wurden sie erheblich geschwächt, so dass der Borkenkäfer leichtes Spiel hatte. 

    Wechselarme Tiere wie Insekten, Amphibien oder Reptilien spüren klimatische Veränderungen besonders deutlich. Sie steuern ihre Körpertemperatur über die Umgebungstemperatur. Wird es warm, werden sie aktiv. Kühlt es ab, verfallen sie in Kältestarre. Bleibt es allerdings im Winter länger mild, beginnen Frösche und Molche unter Umständen schon im Januar ihre Wanderungen. Plötzliche Kälteeinbrüche werden dann schnell gefährlich, weil die Tiere sich dann nicht mehr rechtzeitig vor der Kälte schützen können.

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    Spezialisierte Arten bekommen Probleme

    Viele heimische Säugetiere haben kaum Probleme mit wärmeren Wintern. Vor allem den so genannten Generalisten wie Reh, Wildschwein oder Fuchs werden die steigenden Temperaturen wenig ausmachen. Kritisch kann es dagegen für einige hochspezialisierte Säuger werden. Alpine Arten wie Steinbock, Gämse oder Schneehase zieht es schon jetzt weiter nach oben, wie aus einem Fachbeitrag der Naturwissenschaftlichen Rundschau hervorgeht.

    Auch Winterschläfer stehen künftig vor Herausforderungen. Igel und bestimmte Fledermausarten etwa steuern ihre Aktivität zwar über eine „innere Uhr“, sodass sie bei milden Temperaturen nicht ständig aus ihrer Ruhe gerissen werden.

    Problematisch wird es nach Worten des Nabu aber, wenn lange Wärmephasen sich zu häufig mit Kälteeinbrüchen abwechseln. Für jedes Aufwachen aus dem Winterschlaf müssten die Tiere wichtige Energievorräte anzapfen. Die angelegten Fettreserven reichen dann womöglich nicht mehr aus, um den Winter gut zu überstehen.

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