Warum menschliche „Rassen“ ein erfundenes Konstrukt sind
Die Genetik hat nicht nur unwissenschaftliche Rassentheorien widerlegt, sondern in vielen Fällen sogar das Gegenteil bewiesen.
Die vier Buchstaben des genetischen Codes – A, C, G und T – werden auf den Ugander Ryan Lingarmillar projiziert. Die DNA offenbart, was die Hautfarbe verdeckt: Wir alle haben afrikanische Vorfahren.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war einer der prominentesten Wissenschaftler Amerikas ein Arzt namens Samuel Morton. Morton lebte in Philadelphia – und er sammelte Schädel.
Er war nicht wählerisch, was seine „Lieferanten“ anging. Er nahm Schädel entgegen, die von Schlachtfeldern stammten und aus Katakomben geraubt wurden. Eines seiner berühmtesten Exemplare gehörte einem Iren, der als Sträfling nach Tasmanien geschickt worden war (und schließlich gehängt wurde, weil er andere Sträflinge getötet und gegessen hatte).
Mortons 'wissenschaftlicher' Rassismus
An jedem skelettierten Kopf führte Morton die gleiche Prozedur durch: Er füllte ihn mit Pfeffersamen – später wechselte er zu Bleischrot –, den er dann in ein Messgefäß abgoss, um das Volumen des Hirnschädels zu bestimmen.
Morton glaubte, dass die Menschen in fünf Rassen unterteilt werden können, die unabhängig voneinander geschaffen wurden. Die Rassen hatten unterschiedliche Charaktere, die ihrem Platz in einer göttlich festgelegten Hierarchie entsprachen. Mortons „Kraniometrie“ zeige, so behauptete er, dass die Weißen oder „Kaukasier“ die intelligenteste Rasse seien. Ostasiaten – Morton benutzte den Begriff „Mongolen“ – waren zwar „scharfsinnig“ und „empfänglich für Kultur“, standen aber eine Stufe tiefer.
Als nächstes kamen die Südostasiaten, gefolgt von den amerikanischen Ureinwohnern. Schwarze, oder „Äthiopier“, bildeten das Schlusslicht. In den Jahrzehnten vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg wurden Mortons Ideen von den Verteidigern der Sklaverei aufgegriffen.
Schädel aus der Sammlung von Samuel Morton, dem Begründer des wissenschaftlichen Rassismus, veranschaulichen seine Einteilung der Menschen in fünf Rassen. Diese Rassen, so behauptete er, seien aus verschiedenen göttlichen Schöpfungsakten hervorgegangen. Von links nach rechts: eine Schwarze Frau und ein Weißer Mann, beide Amerikaner; ein einheimischer Mann aus Mexiko; eine chinesische Frau und ein malaysischer Mann.
„Er hatte viel Einfluss, vor allem im Süden [der USA]“, sagt Paul Wolff Mitchell, ein Anthropologe an der University of Pennsylvania. Er zeigt mir die Schädelsammlung, die heute im Penn Museum untergebracht ist. Wir stehen über der Hirnschale eines besonders großköpfigen Holländers, der dazu beigetragen hat, dass Morton das kaukasische Leistungsvermögen überbewertete.
Als Morton 1851 starb, lobte ihn das Charleston Medical Journal in South Carolina dafür, dass er „dem Neger seinen wahren Platz als minderwertige Rasse gegeben“ habe.
Heute gilt Morton als der Vater des wissenschaftlichen Rassismus. So viele der Schrecken der letzten Jahrhunderte lassen sich auf die Vorstellung zurückführen, dass eine Rasse der anderen unterlegen ist – gerade deshalb ist ein Rundgang durch seine Sammlung eine eindringliche Erfahrung. Mortons Vermächtnis ist noch immer unter uns: Rassismus prägt nach wie vor unsere Politik, unsere Gemeinschaften und unser Selbstverständnis.
Dabei hat die Wissenschaft mittlerweile nicht nur alle von Mortons vermeintlichen Erkenntnissen widerlegt – sie hat sogar das genaue Gegenteil bewiesen.
Morton dachte, er hätte unveränderliche und vererbte Unterschiede zwischen den Menschen entdeckt. Aber er lebte und forschte, kurz bevor Charles Darwin seine Evolutionstheorie darlegte – und lange vor der Entdeckung der DNA. Damals hatten Wissenschaftler noch gar keine Vorstellung davon, wie Merkmale vererbt werden.
DNA widerlegt die Rassentheorie
Seither haben viele Forscher einen Blick auf die Genetik des Menschen geworfen und ihr Fazit ist eindeutig: Die ganze Kategorie der menschlichen Rasse ist ein Missverständnis. Als die Wissenschaftler begannen, aus dem Material mehrerer Individuen das erste vollständige menschliche Genom zusammenzusetzen, sammelten sie ganz bewusst Proben von Menschen, die sich selbst als Angehörige verschiedener Ethnien identifizierten.
Im Juni 2000 wurden die Ergebnisse bei einer Zeremonie im Weißen Haus bekannt gegeben – und Craig Venter, ein Pionier der DNA-Sequenzierung, erklärte: „Das Konzept der Rasse hat keine genetische oder wissenschaftliche Grundlage.“
In den letzten Jahrzehnten hat die Genforschung zwei grundlegende Wahrheiten über den Menschen ans Licht gebracht. Die erste ist, dass alle Menschen eng miteinander verwandt sind – enger verwandt als beispielsweise alle Schimpansen, obwohl es heutzutage viel mehr Menschen gibt.
Jeder Mensch hat im Grunde die gleichen Gene, aber mit Ausnahme von eineiigen Zwillingen hat jeder leicht unterschiedliche Versionen von einigen dieser Gene. Studien zu dieser genetischen Vielfalt haben es den Wissenschaftlern ermöglicht, eine Art Stammbaum der menschlichen Populationen zu rekonstruieren. Damit wurde die zweite grundlegende Wahrheit offenbar: Im Grunde sind alle heute lebenden Menschen Afrikaner.
Unsere Spezies, der Homo sapiens, hat sich in Afrika entwickelt – niemand kann genau sagen, wann oder wo. Der jüngste Fossilfund aus Marokko deutet darauf hin, dass die charakteristischen Merkmale des anatomisch modernen Menschen bereits vor 300.000 Jahren auftraten. Für die nächsten 200.000 Jahre blieben wir in Afrika. Aber schon während dieser Zeit begannen Gruppen, in verschiedene Teile des Kontinents zu wandern und sich voneinander zu isolieren, was zur Entstehung neuer Populationen führte.
Die DNA-Profile dieser beiden sind zu fast 99 Prozent identisch. Die Gene von zwei beliebigen Menschen sind einander natürlich noch ähnlicher. Aber nachdem unsere vormenschlichen Vorfahren den größten Teil ihrer Körperbehaarung verloren hatten, entwickelten wir deutlich sichtbare Unterschiede in der Hautfarbe. Dafür sind winzige Änderungen an unserer DNA verantwortlich. Eine dunkle Pigmentierung hätte unseren Vorfahren geholfen, mit der brennenden afrikanischen Sonne zurechtzukommen. Als die Menschen aus Afrika in sonnenarme Regionen abwanderten, wurde eine hellere Haut vorteilhaft.
Beim Menschen, wie bei allen Spezies, sind genetische Veränderungen das Ergebnis zufälliger Mutationen. Generell treten Mutationen mit einer mehr oder weniger konstanten Häufigkeit auf. Je länger eine Gruppe fortbesteht und ihre Gene von Generation zu Generation weitergibt, desto mehr Änderungen werden sich an diesen Genen ansammeln. Und je länger zwei Gruppen voneinander getrennt sind, desto ausgeprägter sind diese Veränderungen.
Die Zweige des menschlichen Stammbaums
Durch die Analyse von Genen heutiger Afrikaner sind die Forscher zu dem Schluss gekommen, dass die Khoisan, die heute im südlichen Afrika leben, einen der ältesten Zweige des menschlichen Stammbaums darstellen. Auch die Völker Zentralafrikas, denen eine relativ geringe Körpergröße gemein ist, leben seit sehr langer Zeit als isolierte Gruppen.
Das bedeutet, dass die größten Unterschiede innerhalb der menschlichen Familie nicht zwischen vermeintlichen „Rassen“ bestehen – also beispielweise Weiße, Schwarze, Asiaten oder amerikanische Ureinwohner. Stattdessen findet man sie zwischen afrikanischen Bevölkerungsgruppen wie den Khoisan und den zentralafrikanischen Pygmäen, die Zehntausende von Jahren getrennt voneinander verbrachten, noch bevor die Menschen Afrika verließen.
Alle heutigen Nicht-Afrikaner, so sagt uns die Genetik, stammen von ein paar tausend Menschen ab, die Afrika vor vielleicht 60.000 Jahren verließen. Diese Migranten waren am engsten mit Gruppen verwandt, die heute in Ostafrika leben, darunter die Hadza aus Tansania. Da sie nur einen kleinen Teil der Bevölkerung Afrikas darstellten, nahmen die Auswanderer auch nur einen Bruchteil der genetischen Vielfalt Afrikas mit hinaus in die Welt.
Genvarianten der Pigmentierung
Irgendwo auf dem Weg, vielleicht im Nahen Osten, trafen die Reisenden auf eine andere menschliche Spezies, mit der sie sich paarten: die Neandertaler. Weiter östlich begegneten sie den Denisova-Menschen. Vermutlich entwickelten sich beide Spezies in Eurasien aus einem Vertreter der Hominini, der noch viel früher aus Afrika ausgewandert war. Einige Wissenschaftler glauben auch, dass der Exodus vor 60.000 Jahren bereits die zweite Migrationswelle des modernen Menschen war, die Afrika verließ. Wenn dem so ist, dann hat – unseren heutigen Genomen nach zu urteilen – die zweite Welle die Spuren der ersten verwischt.
In einem vergleichsweise großen Ansturm verteilten sich die Nachkommen all dieser Auswanderer über die ganze Welt. Vor 50.000 Jahren hatten sie Australien erreicht. Vor 45.000 Jahren hatten sie sich in Sibirien niedergelassen, und vor 15.000 Jahren hatten sie es bis nach Südamerika geschafft. Als sie in verschiedene Teile der Welt zogen, entstanden neue Gruppen, die geografisch voneinander isoliert wurden und ihre eigenen, unverwechselbaren genetischen Mutationen ausbildeten.
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Die meisten dieser Veränderungen brachten weder Schaden noch Nutzen. Gelegentlich trat jedoch eine Mutation auf, die sich in einer neuen Umgebung als vorteilhaft erwies. Unter dem Druck der natürlichen Selektion verbreitete sie sich schnell in der lokalen Bevölkerung. In großen Höhen ist zum Beispiel der Sauerstoffgehalt niedrig. Menschen, die es ins äthiopische Hochland, nach Tibet oder auf den Altiplano der Anden verschlug, profitierten enorm von Mutationen, die es ihnen erlaubten, gut mit der dünnen Luft zurechtzukommen.
Ähnlich verhält es sich bei den Inuit, die sich vorwiegend von Meeressäugern mit einem hohen Fettgehalt ernährten. Sie weisen genetische Veränderungen auf, die ihnen dabei halfen, sich an diese Ernährung anzupassen.
Kleine Gene – große Wirkung
Manchmal ist eindeutig, dass die natürliche Selektion eine bestimmte Mutation bevorzugt – aber es ist nicht klar, warum. Das ist der Fall bei einer Variante eines Gens namens EDAR. Die meisten Menschen, die von Ostasiaten oder amerikanischen Ureinwohnern abstammen, besitzen mindestens ein Exemplar der Variante, bekannt als 370A. Viele besitzen sogar zwei. Bei Menschen afrikanischer und europäischer Abstammung ist sie jedoch selten.
Die Jäger und Sammler der Hadza aus Tansania, denen auch Ondoshi Stephano angehört, gehören zu den engsten lebenden Verwandten der Menschen, die Afrika als erste verlassen haben.
An der Perelman School of Medicine der Universität von Pennsylvania hat die Genetikerin Yana Kamberov Mäuse mit der ostasiatischen Variante von EDAR versehen. Sie will herausfinden, was genau diese Genvariante bewirkt. „Die sind süß, oder?“, sagt sie und öffnet den Käfig, um sie mir zu zeigen.
Die Mäuse sehen ganz normal aus, mit glattem braunen Fell und glänzenden schwarzen Augen. Aber unter dem Mikroskop werden subtile, aber signifikante Unterschiede zu ihren Artgenossen offenbar: Ihre Haare sind dicker, sie haben mehr Schweißdrüsen und die Fettpolster um ihre Milchdrüsen sind kleiner.
Kamberovs Mäuse helfen dabei zu erklären, warum einige Ostasiaten und Ureinwohner dickere Haare und mehr Schweißdrüsen haben. (Die Wirkung von EDAR auf menschliche Brüste ist unklar.) Aber sie liefern keinen evolutionären Grund. Vielleicht, so spekuliert Kamberov, trafen die Vorfahren der heutigen Ostasiaten irgendwann auf Klimabedingungen, die mehr Schweißdrüsen zu einem nützlichen Vorteil machten. Oder vielleicht half ihnen dickeres Haar dabei, Parasiten vorzubeugen. Es könnte auch sein, dass 370A andere Vorteile brachte, die sie erst noch entdecken muss.
Die Veränderungen, die sie bisher identifiziert hat, könnten dann tatsächlich nur Nebeneffekte sein. Die Genetik funktioniert häufig auf diese Weise: Eine winzige Änderung kann viele unterschiedliche Auswirkungen haben. Manchmal erweist sich nur eine davon als nützlich – und sie kann die Bedingungen überdauern, die zu ihrer Entstehung geführt haben. Das ist vergleichbar mit alten Familienfotos, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, obwohl längst niemand mehr die Menschen auf Fotos kennt.
„Solange man keine Zeitmaschine hat, kann man das nicht rausfinden“, sagt Kammberov.
In Afrika gibt es eine grössere genetische Vielfalt als auf allen anderen Kontinenten zusammen
Das liegt daran, dass der moderne Mensch aus Afrika stammt und evolutionsgeschichtlich die meiste Zeit dort verbracht hat. Dabei hat sich eine enorme genetische Vielfalt herausgebildet, die sich auch in der Hautfarbe widerspiegelt. Forscher, die diese Genetik untersuchen, orientieren sich dabei manchmal an der großen linguistischen Vielfalt des Kontinents: Es gibt dort mehr als 2.000 Sprachen. Der Fotograf Robin Hammond folgte ihrem Beispiel und besuchte fünf große Sprachgemeinschaften. Seine Porträts umfassen ein großes Farbspektrum, von Neilton Vaalbooi (oben links im Bildraster), einem Khoisan-Jungen aus Südafrika, bis zu Akatorot Yelle (unten rechts), einem Turkana-Mädchen aus Kenia. „Es gibt keine homogene ‚afrikanische Rasse‘“, sagt die Genetikerin Sarah Tishkoff von der Universität von Pennsylvania. „Sie existiert nicht.“ Die prähistorischen Menschen, die Afrika vor etwa 60.000 Jahren verließen und aus denen im Laufe der Zeit die anderen weltweiten Ethnien hervorgingen, bildeten nur einen Bruchteil der Vielfalt Afrikas ab.
1. Neilton Vaalbooi (N), 2. Petrus Vaalbooi (N), 3. Khadar Abdullahi (S), 4. Sadam Abdirisak (S), 5. Askania Saidi (H), 6. Mohamed Ali (S), 7. Helena Hamisi (H), 8. Kooli Naperit (T), 9. David Vaalbooi (N), 10. Sisipho Menze (X), 11. Ayub Abdullahi (S), 12. Bianca Springbok (N), 13. Xolani Mantyi (X), 14. Makaranga Pandisha (H), 15. Erinyok Eyen (T), 16. Isaac Adams (N), 17. Chahida van Neel (N), 18. Griet Seekoei (N), 19. Siphelo Mzondo (X), 20. Piega Mukoa (H), 21. Zacharia Sanga (H), 22. Tulisa Ngxukuma (X), 23. Johanna Koper (N), 24. Abdhllahi Mohamed (S), 25. Monwabisi Makoma (X), 26. Gelmesa Robe (S), 27. Palanjo Kaunda (H), 28. Abdhllahi Said (S), 29. Ejore Elipan Abong (T), 30. Akatorot Yelle (T)
DNA wird oft mit einem Text verglichen, wobei die Buchstaben für die chemischen Basen stehen: A für Adenin, C für Cytosin, G für Guanin und T für Thymin. Das menschliche Genom besteht aus drei Milliarden Basenpaaren – Seite für Seite aus aneinandergereihten A's, C's, G's und T's –, die in etwa 20.000 Gene unterteilt sind. Die Anpassung, die Ostasiaten dickeres Haar verleiht, ist eine einzige Basenänderung auf einem einzigen Gen, von einem T zu einem C.
Menschliche Hautfarben: Alles Mutation
Genauso ist die Mutation, die den größten Anteil daran hat, dass Europäer eine hellere Haut haben, eine einzige Veränderung auf einem Gen mit der Bezeichnung SLC24A5. Es besteht aus etwa 20.000 Basenpaaren.
Vor ungefähr einem Jahrzehnt entdeckte ein Pathologe und Genetiker namens Keith Cheng am Penn State College of Medicine diese Mutation, indem er Zebrafische studierte. Seine Exemplare waren speziell darauf gezüchtet worden, hellere Streifen zu erhalten. Es stellte sich heraus, dass die Fische eine Mutation in einem Pigmentgen besaßen, die der Mutation bei Europäern entspricht.
Bei der Untersuchung von DNA, die aus alten Knochen extrahiert wurde, haben Paläogenetiker herausgefunden, dass diese Mutation von G zu A erst vor relativ kurzer Zeit in Westeuropa aufkam – vor etwa 8.000 Jahren. Sie stammte von Menschen, die aus dem Nahen Osten einwanderten und neben ihrer helleren Haut auch eine neumodische Technologie mitbrachten: die Landwirtschaft.
Das bedeutet, dass die europäischen Jäger und Sammler, die zum Beispiel die spektakulären Höhlenmalereien in Lascaux schufen, wahrscheinlich keine helle, sondern braune Haut hatten. Die alte DNA legt nahe, dass viele dieser dunkelhäutigen Europäer auch blaue Augen hatten – eine Kombination, die man heute selten sieht.
Galerie: Die Farbvielfalt des Menschen
„Die Genetik zeigt, dass Vermischung und Verdrängung immer wieder stattgefunden haben und dass unsere Vorstellungen von früheren ‚Rassenstrukturen‘ fast immer falsch waren“, sagt David Reich, ein Paläogenetiker der Harvard Universität. Es gibt keine festen Merkmale, die mit bestimmten geografischen Orten assoziiert sind, sagt Reich. Denn so oft die Isolation Unterschiede zwischen den Gruppen geschaffen hat, so oft haben Migration und Vermischung sie wieder verwischt oder ausgelöscht.
Heute ist die Hautfarbe überall auf der Welt sehr variabel. Ein großer Teil der Unterschiede hängt mit dem Breitengrad zusammen. In Äquatornähe macht das viele Sonnenlicht dunkle Haut zu einem nützlichen Schutzschild gegen ultraviolette Strahlung. In Richtung der Pole, wo das Problem eher ein Mangel an Sonne ist, begünstigt eine hellere Haut die Produktion von Vitamin D. Mehrere Gene arbeiten zusammen, um den Hautton zu bestimmen, und verschiedene Menschengruppen können beliebig viele Kombinationen verschiedener Anpassungen aufweisen.
Unter Afrikanern haben einige Menschen wie die Mursi in Äthiopien eine besonders dunkle Haut. Andere wie die Khoisan haben eine eher kupferfarbene Haut. Überraschend war für die Forscher, dass viele dunkelhäutige Ostafrikaner die hellhäutige Variante von SLC24A5 besitzen. (Ebenso wie in Europa scheint sie auch in Afrika aus dem Nahen Osten eingebracht worden zu sein.) Ostasiaten haben ihrerseits im Allgemeinen helle Haut, besitzen aber die dunkelhäutige Version des Gens. Cheng hat versucht, mit Hilfe von Zebrafischen herauszufinden, warum das ist. „Es ist nicht einfach“, sagt er.
Warum das Äußere so oft täuscht
Wenn Menschen von Rassen sprechen, scheinen sie sich gewöhnlich auf die Hautfarbe zu beziehen – aber gleichzeitig auch auf mehr als das. Das ist das Vermächtnis von Menschen wie Morton, der die „Wissenschaft von der Rasse“ gemäß seinen eigenen Vorurteilen entwickelte – und die eigentliche Wissenschaft dabei völlig falsch verstanden hat. Die Forschung sagt uns heute, dass die sichtbaren Unterschiede zwischen vermeintlichen „Rassen“ nicht mehr als historische Zufälle sind. Sie spiegeln wider, wie unsere Vorfahren mit der Sonneneinstrahlung umgingen – und nicht viel mehr.
„Wir haben oft die Vorstellung, dass, wenn ich Ihre Hautfarbe kenne, ich auch X, Y und Z über Sie weiß“, sagt Heather Norton, eine Molekularanthropologin an der University of Cincinnati, die sich mit Pigmentierung beschäftigt. „Deshalb glaube ich, es kann sehr wirkungsvoll sein, den Menschen zu erklären: All diese Unterschiede, die wir sehen, resultieren nur daraus, dass ich ein A in meinem Genom habe und sie ein G.“
Auch heute noch sind Neandertaler sprichwörtlich unter uns. In Düsseldorf zieht eine Skulptur des nahegelegenen Neanderthal Museums die Blicke der Passanten auf sich. Einige der ersten Menschen, die Afrika verließen, trafen auf die Neandertaler und hatten Sex mit ihnen. Infolgedessen tragen heute alle Nicht-Afrikaner eine kleine Menge von Neandertaler-DNA in sich. Diese Gene können ihr Immunsystem und ihren Vitamin-D-Spiegel, aber auch ihr Risiko für Schizophrenie und übermäßiges Bauchfett erhöhen.
Etwa eine Stunde von Mortons Sammlung entfernt, an der West Chester University, leitet Anita Foeman das DNA Discussion Project. An einem sonnigen Herbstmorgen spricht sie vor den jüngsten Teilnehmern des Projekts – einem Dutzend Studenten unterschiedlicher Hautfarben, von denen jeder auf einen Laptop-Bildschirm schaut. Einige Wochen zuvor hatten die Studenten Fragebögen über ihre Abstammung ausgefüllt. Was war ihrer Meinung nach ihre Herkunft? Die Studenten hatten Speichelproben für genetische Tests eingereicht. Jetzt erhalten sie über ihre Computer ihre Ergebnisse zurück. Ihre Reaktionen spiegeln sich in ihren Gesichtern.
Eine junge Frau, deren Familie seit Generationen in Indien lebt, ist schockiert, dass einige ihrer Vorfahren Iren sind. Eine andere junge Frau, die in dem Glauben aufwuchs, dass einer ihrer Großeltern Ureinwohner war, ist enttäuscht, dass dem nicht so ist. Eine dritte ist „verwirrt“: „Ich hatte einen deutlichen höheren Prozentsatz aus dem Nahen Osten erwartet“, sagt sie.
Foeman, eine Professorin für Kommunikation, ist an solche Antworten gewöhnt. Sie begann das DNA Discussion Project 2006, weil sie sich für Geschichten interessierte – sowohl für die, die Familien erzählen, als auch für die, die sie aus den Genen liest. Schon zu Beginn des Projekts war klar, dass diese Erzählungen oft nicht deckungsgleich waren. Ein junger Mann, der sich als „gemischtrassig“ identifizierte, war wütend, als er entdeckte, dass er tatsächlich fast ausschließlich europäischer Abstammung ist. Mehrere Studenten, die in christlichen Haushalten aufwuchsen, waren überrascht, dass einige ihrer Vorfahren Juden waren.
„All diese Geschichten, die unterdrückt wurden, kommen in den Genen zum Vorschein“, sagt Foeman. Sie selbst empfindet sich als Afroamerikanerin und war von ihren Ergebnissen überrascht. Diese zeigten, dass einige ihrer Vorfahren aus Ghana stammten, andere aus Skandinavien.
„Ich bin in den 1960ern aufgewachsen, als helle Haut wirklich eine große Rolle spielte“, erklärt sie. „Ich sehe mich selbst viel eher als dunkelhäutig. Ich war überrascht, dass ich zu einem Viertel europäischer Abstammung bin.“
„Das hat mir wirklich verdeutlicht, dass ‚Rasse‘ ein Konstrukt ist, das wir selbst erzeugen“, sagt sie.
Moderne Kategorien für moderne Zeiten?
Aber nur, weil ‚Rasse‘ beim Menschen ein erfundenes Konstrukt ist, macht sie das natürlich nicht weniger mächtig. Sie prägt in einem beunruhigenden Ausmaß immer noch die Wahrnehmung der Menschen, ihre Möglichkeiten und ihre Erfahrungen.
In den USA gehört sie sogar zu den Angaben bei der Volkszählung: 2010 wurden US-Bürger bei der letzten Zählung aufgefordert, ihre Ethnie („race“) aus einer Liste auszuwählen. In den Optionen spiegelte sich die fragwürdige Geschichte des Begriffs wider: Zur Auswahl standen „Weiße“, „Schwarze“, „Indianer“, „Inder“, „Chinesen“, „Japaner“ und „Samoaner“. Laut Gesetzten wie dem Civil Rights Act ist Diskriminierung aufgrund von „Rasse“ oder Hautfarbe verboten. Für die Opfer von Rassismus ist es ein schwacher Trost zu sagen, dass diese Kategorie jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt.
Die genetische Sequenzierung hat es den Forschern ermöglicht, den Verlauf der menschlichen Migration nachzuvollziehen. Mittlerweile ermöglicht sie es Einzelpersonen sogar, ihre eigene Abstammung zu erforschen. Foeman hofft, dass sie nun auch zu einem generellen Umdenken in Bezug auf die menschliche Vielfalt führen wird. Das DNA Discussion Project gewährt den Teilnehmern Einblick in ihre eigene Abstammung, die in der Regel viel komplizierter ist, als man sie glauben machen wollte. Dadurch entsteht letzten Endes auch eine Konversation über die lange, verworrene und oft brutale Geschichte, die wir alle teilen.
„Dass Rasse ein menschliches Konstrukt ist, bedeutet ja nicht, dass wir nicht verschiedenen Gruppen angehören oder dass es keine Variation gibt“, sagt Foeman. „Aber wenn wir uns schon Rassenkategorien ausdenken, können wir vielleicht neue Kategorien schaffen, die besser funktionieren.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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